Das Bernsteinzimmer
Bilder zeigte, waren das Fotos von einer großen weißen Villa in einem weiten Park, von einem Cadillac und Reitpferden, einem gemütlichen, dicklichen Vater, einer schlanken Mama von mexikanischem Aussehen und einer Schwester, die Hollywood auf den Kopf hätte stellen können, wenn sie sich bei den Filmbossen gemeldet hätte. Aber das hatte sie nicht nötig, Geld schien bei den Williams keine Rolle zu spielen.
Joe, einziger Sohn und damit Erbe des Riesenvermögens, das der alte Williams mit Baumwolle und Erdnüssen verdient haben wollte, mußte Whitesands, so hieß der Besitz am Meer, frühzeitig verlassen. Nicht um zu studieren, wie man schädliche Käfer von Erdnüssen fernhält, sondern um zunächst für zwei Jahre auf Weltreise zu gehen! Grund: Zehn Meilen von Whitesands entfernt war die Leiche eines jungen schwangeren Mädchens angeschwemmt worden, von dem man nur wußte, daß es öfter mit Joe gesehen worden war.
O nein, ein Verdacht fiel nie auf Joe. Sein Daddy unterstützte eine Partei, finanzierte den Wahlkampf des Oberstaatsanwalts, der gerne Gouverneur werden wollte, stiftete einen Kindergarten, sponserte eine Football-Mannschaft und ließ eine schöne Kirche bauen. Die Unbekannte wurde begraben, die Akten geschlossen, aber auf freundschaftliches Anraten des Oberstaatsanwalts schickte der alte Williams seinen Joe erst einmal nach Europa.
Dort geschah in diesen zwei Jahren Merkwürdiges. In London wurde ein Juwelier überfallen und zum Krüppel geschossen. In Rom verblutete ein Bankdirektor neben seinem geöffneten Tresor. In Berlin fand man im Grunewald einen Mann mit durchschnittener Kehle. Ein rätselhafter Mord, bis die Spezialisten der Kriminalzentrale am Werderschen Markt entdeckten, daß der Tote mit Kokain gehandelt hatte. In Budapest entdeckte das Zimmermädchen auf der 2. Etage des Hotels Metropol die Sängerin Ilona Varanady nackt auf ihrem Bett. Einen großen Blumenstrauß hielt sie in den gefalteten Händen, zwischen die üppigen Brüste gedrückt, nur war leider auch ihre Kehle durchschnitten. Daß in Whitesands Ansichtskarten von Joe aus London, Berlin, Rom und Budapest eintrafen, war bestimmt nur ein Zufall.
Joe sprach nie darüber, wie er zur Army gekommen war. Er war jedenfalls da, hatte es bis zum Master-Sergeanten gebracht und kommandierte die 1. Gruppe der Truck-Kolonne, zu der auch Larry gehörte. Joe war ein guter Vorgesetzter, hielt nicht viel vom Herumbrüllen, war ein guter Kamerad und bei allen beliebt. Nur ab und zu benahm er sich etwas merkwürdig. In den Nächten mit Neumond saß er mit finsterer Miene herum, gab kaum Antworten, war blaß im Gesicht, und einmal beobachtete Larry in solch einer Nacht zufällig, wie Joe aus dem Stall eines Bauern vier Hühner holte, sie an den Beinen hoch in die Luft hielt und ihnen mit einem ungemein scharfen Messer die Kehle durchschnitt, ja ihnen die Köpfe abhieb.
Larry behielt diese Beobachtung für sich. Der Krieg hatte sie zu Freunden gemacht, und dabei sollte es bleiben. Nach dem Sieg sah ja alles anders aus: Larry würde nach New York zurückkehren, und Joe würde am eigenen Badestrand am Meer, irgendwo im Süden, schwimmen. Nach ein paar Briefen hin und her würde dann die Freundschaft einschlafen. Wie das so ist …
An diesem 12. April 1945 standen sie vor ihren Trucks und warteten auf Eisenhower und seine Generäle. Wie immer war Joe Williams bestens unterrichtet und hatte zu Larry gesagt:
»Da unter der Erde haben sie ne tolle Sache entdeckt. Ich habe gehört, daß in den Salzstollen Millionen liegen sollen.«
»Tote?« fragte Larry ahnungslos.
»Dollar, du Idiot.« Wenn Joe Idiot sagte, war das wie eine Zärtlichkeit.
»Da unten? Wieso das denn?«
»Noch keiner weiß was Genaueres. Jedenfalls kriechen da unten Kunstexperten rum und sollen sich wie Kokssüchtige benehmen. Glaubst du, Eisenhower kommt sonst in dieses Nest, wenn da unten nicht eine Sensation liegt? Mensch, Larry, denk doch an die Bergwerke, die wir schon hinter uns haben! Gemälde, Teppiche, Silber, Bücher, Porzellan, Gobelins, Ikonen, Statuen, Patentakten … Kunstschätze aus allen Jahrhunderten und Ländern, aus China, Ägypten, Rußland, Mesopotamien, Persien … ganze Museen! Aber das hier muß das Tollste sein. Wenn Eisenhower sich persönlich auf die Socken macht –«
»Na und?« Larry Brooks hob die Schultern. »Man wird alles raufholen und zu dem anderen tun.«
»Und in die Staaten bringen, Larry!«
»Klar. Wir haben ja den Krieg gewonnen …
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