Das Bienenmaedchen
Besinnung und zog die Tür weiter auf.
»Was für eine Überraschung!« Oenone drehte sich um und rief ins Haus hinein: »Angie, Angie, komm und schau, wer da ist!« Dann wandte sie sich wieder um. »Entschuldigung, Liebes, komm rein.« Sie zog Beatrice herein. »Wir hatten keine Ahnung, dass du kommen würdest. Wir dachten … Oh, was soll’s, was wir dachten. Jetzt bist du hier!«
»Ich habe versucht anzurufen.«
»Die Verbindung funktioniert nicht richtig. Hier gibt’s so viel zu tun.« Sie umarmte Beatrice in einer schwachen, halbherzigen Weise.
Beatrice war bestürzt. Warum hatten die Wincantons angenommen, dass sie nicht herkommen würde? Miss Atkins hatte ihnen doch angeblich telegrafiert. Das Gefühl, dass hier etwas ganz und gar nicht in Ordnung war, loderte inzwischen in ihr wie eine dunkle Flamme.
Sie schaute sich in der Eingangshalle um. Wenn man Mrs Wincantons Erscheinung schon als etwas vernachlässigt bezeichnen konnte, dann war das Haus noch um einiges schlimmer dran. Die Drucke hingen nicht mehr an den Wänden, und die herrlich geschnitzte Treppe war ramponiert und abgenutzt.
»Traurig, nicht wahr?«, flüsterte Mrs Wincanton, die Beatrice’ Blick gefolgt war. »Selbst das Haus hat seinen Krieg erlebt.«
Und nun tauchte Angie oben an der Treppe auf. »Bea!«, schrie sie und eilte hinunter. »Ich kann es kaum glauben. Geht es dir gut?«
Sie stand vor Beatrice und starrte sie an. Und Beatrice fühlte sich so wie an jenem allerersten Tag in Carlyon – verloren und unsicher. Sie wusste, dass sie nicht mehr so aussah wie früher, doch ihr Äußeres war sicherlich nicht derart erschreckend. Sie umarmten sich, und Beatrice atmete den vertrauten Duft von Seife und Äpfeln und von etwas Erdigem ein. Auch Angie hatte sich verändert.
»Habt ihr denn nicht gewusst, dass ich kommen würde?«, fragte Beatrice. »Ich dachte, sie hätten es euch gesagt.«
»Da war ein Telegramm, oder?«, fragte Oenone ihre Tochter. »Wo ist es?«
»Ich dachte, du hättest es«, erwiderte Angie mit frostiger Stimme. Dann wandte sie sich an Beatrice. »Wir wussten, dass du zurückkommen würdest, aber nicht, wann.«
»Wo ist Tommy?«, fragte Beatrice. »Ich sehne mich danach, ihn zu wiederzusehen.«
Oenone öffnete den Mund, doch Angie kam ihr rasch zuvor. »Es tut mir schrecklich leid«, sagte sie. »Ich weiß, dass du enttäuscht sein wirst, aber unglücklicherweise ist er für ein paar Tage mit Nanny fort. Er hätte dich bestimmt gern gesehen.«
Einen Augenblick lang war Beatrice sprachlos. Dann stammelte sie törichterweise: »Du … meinst, er ist … nicht hier?«
»Nein.« Angie lächelte bedauernd. »Es ist jammerschade. Er fragt manchmal nach Tante Beatrice. Ich muss dich warnen: Wenn er dich sieht, wird er wissen wollen, ob du ihm ein Geschenk mitgebracht hast. So ein ungezogener Junge ist das.«
Beatrice leckte sich über die Lippen, die trocken geworden waren. »Hast du ihm beigebracht, mich Tante Beatrice zu nennen und nicht Mummy?«
»Ich finde es so weniger verwirrend für ihn. Du warst sehr lange weg, Bea. Du hast ihn fast zwei Jahre nicht gesehen. Zwei Jahre! Das ist nicht leicht für einen kleinen Jungen.«
»Ich glaube, ich muss mich setzen«, sagte Beatrice. Der Schock war ihr in die Glieder gefahren.
»Natürlich, komm, wir gehen in den Salon. Mummy, würdest du Phoebe sagen, dass sie uns dort Tee servieren soll?«
Als sie sich hingesetzt hatten, fragte Beatrice: »Wo ist Nanny noch mal mit ihm hingefahren?«
»Ach, bloß nach Truro, wo sie ein paar Freundinnen besucht. Das verschafft mir eine kleine Verschnaufpause. Du siehst ja, hier gibt’s schrecklich viel zu tun. Die Soldaten haben im Haus ein totales Chaos hinterlassen.«
Beatrice sah nun die Beschädigungen, die der Raum erlitten hatte. Der Kronleuchter war zerbrochen und die Tapete überall verkratzt.
»Du bist also zurück«, fuhr Angie fort. »Hast du eine schlimme Zeit hinter dir? Musst du wohl. Dein Haar wird grau, und du siehst … viel älter aus.«
»Angie!«, rief ihre Mutter und sah verlegen zur Seite.
»Tut mir leid«, sagte Angie, die immer wieder zur Tür schaute. »Es war einfach entsetzlich für uns«, fuhr Angie fort. »Die doodlebugs haben das Fass endgültig zum Überlaufen gebracht – wir konnten es in Sussex einfach nicht mehr aushalten. Ich hatte dauernd Albträume, dass diese fliegenden Bomben über unserem Cottage schweben und jeden Moment auf uns runterfallen würden. Als wir hörten, dass die Armee
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