Das Bild - Geschichte einer Obsession
zurückziehen. Claire dagegen schob ihren Sessel zur Wand, um so eine etwas natürlichere Stellung einzunehmen, ohne ihre anstößige Inquisition zu unterbrechen. Die kleine Anne machte, von Panik ergriffen, den Versuch, sich wieder aufzurichten. Sie wagte aber nicht, sich ganz den Liebkosungen ihrer Freundin zu entziehen. Daher blieb sie am Tisch stehen, an den sich ihre beiden Hände verzweifelt klammerten, und sah mit einem stumpfsinnigen Ausdruck den verblüfften jungen Mann an.
Ich nahm mir so viel Zeit wie möglich, um in allen Einzelheiten anzugeben, was wir wünschten. Der Kellner schien mir im übrigen kaum zuzuhören, denn er vermochte seine Augen nicht von diesem hübschen Mädchen abzuwenden, dessen Gesicht Verwirrung ausdrückte, dessen Augen weit aufgerissen und dessen Lippen geöffnet waren und das sich vor ihm unter den Stößen einer unsichtbaren Brise wand.
Als ich schließlich sagte: «Das wäre alles für den Augenblick», floh er entsetzt.
Claire fragte mit ruhiger Stimme:
«Na, Kleine, ist das schön?»
«Lassen Sie mich, ich bitte Sie», flehte Anne flüsternd.
Aber Claire führ fort und sagte:
«Was hast du lieber: daß ich dich streichle oder daß ich dir weh tue?»
Dann, an mich gerichtet: «Nun, Jean, sagten Sie nicht, sie sei heute nachmittag nicht brav gewesen?»
Ich bestätigte, daß die junge Frau tatsächlich eine Bestrafung verdiene. Claire verlangte keine weitere Erklärung. Vermutlich wußte sie genau, daß es nicht stimmte.
«Gut», sagte sie, «wir werden sie zum Weinen bringen.»
Die Verrenkungen der kleinen Anne drückten jetzt Schmerz aus. Ihre Herrin war dabei, sie unter ihrem Kleid zu quälen.
Nach einigen Minuten, als der Kellner mit dem Tablett kam, zog sie schließlich trotzdem ihre Hand zurück.
«So leicht kommst du nicht davon», sagte sie. «Wann wollen Sie zu mir kommen, Jean?»
«Morgen abend», sagte ich, «nach dem Essen.»
«Sehr schön. Morgen also. Du kannst dich setzen.»
Anne ließ sich auf ihren Stuhl fallen. Der Kellner, der nicht mehr der junge Mann von vorhin war, verteilte die Tassen, die Teller und das Besteck auf dem Tisch, ohne sich darum zu kümmern, was wir machten.
Claire roch an ihren Fingern und hielt sie dann ihrer Freundin unter die Nase:
«Riech», sagte sie, «wie gut du duftest.»
Das junge Mädchen errötete erneut.
«Leck!»
Das Mädchen öffnete den Mund und spitzte die Lippen, um artig die Fingerspitzen zu lecken, an denen ihr eigener Geruch hing.
VIII. Im Badezimmer
Am nächsten Abend traf ich Claire in der Rue Jacob in ihrer bevorzugten Hauskleidung an: hautenge Hose und knapper schwarzer Pullover.
Die Art, wie sie mich empfing, schien mir von Gleichgültigkeit geprägt, allerdings nicht mehr als sonst auch. Nur sobald ich nicht bei ihr war, stellte ich sie mir seither weniger unzugänglich vor. Wir setzten uns jeder in einen der Sessel. Ich fragte nicht, wo die kleine Anne sei.
Nach ein paar eher belanglosen Sätzen sagte ich: «Es wird immer heißer, man kommt sich vor wie mitten im August.»
Claire sah mich auf die Art einer etwas hochmütigen Fremden an, die ich schon von jeher an ihr kannte. Dann ging ihr wohl plötzlich eine Idee durch den Kopf, denn sie lächelte freundschaftlicher, wenn auch ironisch, während sie antwortete:
«Ich bedaure, lieber Freund, daß wir gezwungen sind, unsere Kleidung anzubehalten. Aber in unserer Rolle... Sie verstehen... ist das unerläßlich...»
Dieses Wort «unserer» klang vielversprechend.
«Das ist wahr», sagte ich, «es ist unerläßlich... Wohl besonders für Sie?»
Sie stimmte gern zu: «Ja, vielleicht besonders für mich...»
Es lag so etwas wie eine Spur von Bedauern in ihrem Satz. Gleichzeitig wurde ihr Blick unbestimmter, schutzloser. Einmal mehr glaubte ich zu spüren, wie andere Versuchungen sie streiften.
Sie war schön so, sehr viel schöner... Ich wagte eine indirekte Einladung:
«Und ist Ihnen denn, so vollkommen angezogen, niemals zu heiß?»
Claire blickte mich an, ohne das geringste zu sagen; allmählich aber verhärteten sich ihre Züge. Dann bildeten sich rund um die Augen kleine Fältchen, und die Mundwinkel spannten sich in einem Ausdruck amüsierter Geringschätzigkeit: «Nein, niemals», sagte sie.
Dann erhob sie sich aus ihrem Sessel:
«Die Kleine müßte bereit sein, folgen Sie mir!»
Sie hatte ihre ganze Sicherheit wiedergefunden.
Die Tür, die sie öffnete, ohne anzuklopfen, führte in ein Zimmer, das ich noch nicht betreten hatte. Es war das Badezimmer. Seine
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