Das Bildnis der Novizin
den Mönch durchdringend an. Die Sonne hatte den Morgendunst aufgelöst und schien nun freundlich zum Fenster herein. Von draußen drang das ungeduldige Wiehern des Pferdes in den Raum.
»Ich bin zu Gast bei Ottavio de Valenti. Meine Geschäfte halten mich bis zur Festa della Sacra Cintola in der Stadt fest. Ich werde Euch im Auge behalten, lasst Euch das gesagt sein. Macht Euch also besser an die Arbeit, die Medici wollen Ergebnisse sehen!«
Cantansanti schritt zur Tür. Auf dem Weg dorthin fiel sein Blick auf de Valentis Madonna mit Kind .
»Superb«, hauchte er und beugte sich vor, um sich die Muttergottes näher anzusehen, ihre zarten Gesichtszüge, ihre leuchtend blauen Augen. »Diese Madonna ist exzellent – so etwas müsst Ihr für die Medici auch machen, Bruder. Vergesst nicht, wer Eure wichtigsten Gönner sind!«
Fra Filippo ließ sich auf den nächsten Hocker sinken. Der Saum seiner Kutte bauschte sich wie ein schmutzig weißer Schneehaufen um seine Füße. Er hob die bauchige Weinflasche an die Lippen und leerte sie in einem langen Zug.
Die Besuche von Ser Francesco waren eigentlich immer unangenehm, aber dieser brachte ihn noch mehr aus der Ruhe als sonst. Die Last seiner Verpflichtungen war erdrückend, schnürte ihm förmlich die mächtige Brust zu.
Genauso hatte er sich auch vor einem Jahr gefühlt, als er in einer Auftragsschwemme zu ersticken drohte und obendrein seinem Assistenten eine beträchtliche Summe Geldes schuldete. In seiner Not hatte er versucht, den Mann mit einer ungedeckten Zahlungsnote hinzuhalten. Doch der Assistent, Giovanni di Francesco de Cervelliera, hatte ihn daraufhin erbost beim Gerichtshof der Erzbischöflichen Kurie angezeigt.
Wenig später, an einem Montagvormittag im Mai – Fra Filippo arbeitete gerade an einem kleinen Votivbild -, hatte der Mönch Besuch von zwei Soldaten der Kurie erhalten. Die beiden hatten ihn gepackt und ohne viel Federlesens vor Antonio den Guten, Bischof von Florenz, geschleift.
Und dort war der Maler, bevor er noch protestieren konnte, zu dreißig Peitschenhieben und einer Gefängnisstrafe verurteilt worden.
Man hatte den zitternden Mann in den Kerker gebracht und die Strafe sofort ausgeführt. Seine Schmerzensschreie und sein Flehen um Gnade waren auf taube Ohren gestoßen; die Peitsche hatte tief ins Fleisch seines Rückens geschnitten. Danach war er in eine Zelle geworfen worden, wo er seine Schmerzen und seine tiefe Verzweiflung damit zu betäuben versuchte, dass er sich die schönsten Altarbilder ausmalte und sich seine geliebte, längst verstorbene Mutter als Madonna darauf vorstellte – sein ganz privates Paradies, das ihn davor bewahrte, vor Kummer wahnsinnig zu werden.
Am vierten Tag seiner Haft war er unsanft aus dem Schlaf gerüttelt worden. Ein Wärter stand vor ihm, ein zusammengerolltes Pergament in der Hand, auf dem das Siegel und die Unterschrift des mächtigen Cosimo de Medici prangten.
»Los, aufstehen«, hatte ihn der Wärter angefahren, »du bist frei.«
Fra Filippo würde Cosimo dafür ein Leben lang dankbar sein. Sein mächtiger Mäzen hatte seine Haut gerettet und seine Schulden bezahlt. Er hatte dafür gesorgt, dass er nach Prato zurückkehren und an den Domfresken weiterarbeiten konnte. Außerdem hatte er sich dafür eingesetzt, dass er die Kaplansstelle im Kloster Santa Margherita bekam. Aber jetzt wollten Cosimo und sein Sohn Giovanni Resultate sehen. Sie wollten haben, was Fra Filippo versprochen hatte: ein völlig neuartiges, atemberaubendes Gemälde der Madonna mit Kind, eine Naturszene, wie sie bisher noch nie gewagt worden war. Die Idee war gut, die Entwürfe waren fertig, aber für die Umsetzung dieser Vision bedurfte es der göttlichen Inspiration.
Und ein Werk, das des Königs von Neapel würdig sein und die Zukunft von Florenz sichern sollte, musste alles Dagewesene übertreffen.
Brennend scharfe Magensäure schoss Fra Filippo in die Kehle. Jetzt hätte er einen Magentee aus Schwester Purezas Beständen gebrauchen können! Sein Blick wanderte zum Fenster und fiel auf das kleine, nun fertige Madonnenbild, auf die leuchtenden Lapislazuli-Augen, die ihn direkt anblickten.
»Lucrezia«, flüsterte er.
Als hätte er eine Zauberformel gesprochen, fiel alle Last, alle Verzweiflung von ihm ab und Hoffnung keimte auf. Sein wild hämmerndes Herz fand zu einem ruhigen, stetigen Rhythmus zurück.
Natürlich.
Lucrezia war die Antwort auf seine Gebete.
Ihr Gesicht und kein anderes musste das Zentralpaneel
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