Das Bildnis der Novizin
des Medici-Triptychons schmücken. Durch sie erhielt das Bild dieses gewisse Extra, das es brauchte, um eines Königs würdig zu sein.
Cantansanti war es, der ihm, ohne es zu wollen, zu der noch fehlenden göttlichen Inspiration verholfen hatte. Hingerissen stellte sich der Maler Lucrezias Gesicht auf dem Altarbild vor, den Elfenbeinschimmer ihrer Haut, ihr goldenes Haar unter einem zarten Brautkranz. Er sah die Jungfrau auf der Waldlichtung knien, Sonnenflecken auf der Wiese, auf der das Jesuskind lag.
Das Bild wurde in seiner Vorstellung so lebendig, dass er beinahe die Finken in den Zweigen zwitschern, den Duft der Zitronen- und Eukalyptusbäume riechen konnte.
Doch plötzlich brach diese wundervolle Vision in sich zusammen. Er konnte das Gesicht dieser Maria nicht aus dem Gedächtnis malen, nicht in einer Naturszene, im Wechselspiel von Licht und Schatten. Um diese Maria auf der Waldlichtung malen zu können, musste er Lucrezia leibhaftig vor sich haben, musste sie im Licht der Sonne sehen können, hier in seiner Werkstatt, wo alles war, was er brauchte: Pinsel, Pergament, Pappelpaneele, Farben, Pigmente.
Lucrezia würde ihm Modell sitzen müssen.
Er würde das Unmögliche verlangen müssen, denn es war nicht nur schwierig, sondern unerhört. Er musste das Einverständnis der Äbtissin erlangen, musste ihr etwas im Gegenzug für ihr Kloster versprechen, damit eine Novizin ihn hier in seiner Werkstatt besuchen durfte.
Äbtissin Bartolommea de Bovacchiesi hatte keine gute Woche. Der Regen wollte und wollte nicht kommen, der Boden war ausgedörrt und rissig und sie begann allmählich um den Ernteertrag zu fürchten. Zu allem Überfluss hatte sie auch noch ein Schreiben aus Florenz erhalten, in dem Generalabt Saviano seinen Besuch zur Festa della Sacra Cintola ankündigte. Und er wollte acht Nächte im Kloster verbringen! Als sei dies noch nicht Unbill genug, war Schwester Simona an einem Ausschlag erkrankt, und die unerfahrene Bernadetta hatte die Küche für sie übernehmen müssen. Die Äbtissin bezweifelte, dass die junge Schwester so gute Brötchen und so aromatisches Schwarzbrot backen konnte wie Simona.
Seufzend tauchte die Äbtissin ihre Feder ins Tintenfass. Dabei fiel ihr Blick aus dem Fenster, und sie sah eine hünenhafte weiße Gestalt auf ihr Büro zukommen.
»Seid gegrüßt, Mutter Oberin«, sagte Fra Filippo beim Eintreten. »Ich hoffe, ich störe nicht.«
Die Äbtissin musterte den Maler. Er war unrasiert, und sein Gürtel saß schief. Er sah aus, als sei er gerade aufgestanden, obwohl der Vormittag schon weit fortgeschritten war.
»Nein, tretet nur ein, Bruder Filippo.«
Die Äbtissin schaute Männern, die ihr Kloster besuchten, im Gegensatz zu den Novizinnen immer direkt in die Augen. Das war ihre Art, ihre gehobene Position sowie ihren Gebietsanspruch deutlich zu machen.
»Nun, was gibt es?«, fragte sie ungeduldig.
Fra Filippo setzte sich vorsichtig auf ein Stühlchen, das unter seinem Gewicht hörbar ächzte. Seine Hände waren wie immer voller Farbspritzer. »Ich bin gekommen, um Eure Einwilligung zu einem ziemlich ungewöhnlichen Anliegen einzuholen, Mutter Oberin.«
Die Äbtissin hob erstaunt die Brauen, und der Schleier über ihrer Stirn bewegte sich ebenfalls.
»Natürlich bitte ich nicht um meinetwillen um diesen Gefallen, sondern im Namen Seiner Exzellenz, des großen Cosimo de Medici, möge Gott ihm noch lange gute Gesundheit schenken.«
Die Äbtissin nickte.
»Wie Ihr vielleicht wisst, haben mich die Medici mit der Fertigung eines Altarbilds für König Alfonso von Neapel betraut.«
Er hielt kurz inne, um die bedeutungsvollen Namen einsinken zu lassen.
»Es entspricht neuerdings dem Zeitgeschmack, das Leben direkt abzubilden. Wie man hört, werden schon bald alle guten Maler mit Modellen arbeiten. Nur wenn wir die Schönheit von Gottes Geschöpfen direkt vor Augen haben, können wir das Leben richtig einfangen.«
Fra Filippo warf einen raschen Blick auf die Äbtissin, die höchst überrascht wirkte. Er fuhr fort.
»Der Apostel Lukas hat die Madonna als junge Frau mit einem zarten, vergeistigten Gesicht gemalt. So etwas möchte ich auch, Mutter Oberin. Und wenn es jemanden gibt, der ein solches Gesicht bereits hat, nun, umso leichter wäre es für mich, ein Abbild von Gottes Schöpfung zu fertigen.«
Das Herz des Malers begann wie wild zu hämmern. Nun sprudelten die Worte nur so aus ihm heraus, als wollte er so dem Einspruch der Äbtissin zuvorkommen.
»Ich bitte
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