Das Bildnis der Novizin
dachte, dass vielleicht eine der Schwestern bereits auf war, um das Morgengebet zu sprechen, und bereitete sich darauf vor, sie mit ernstem Nicken zu grüßen.
»Ach.« Generalabt Saviano vertrat Lucrezia den Weg.
In diesem Moment fiel hinter ihr die Treppentür zu. Der Generalabt und sie waren allein in der dunklen Passage, die zur Apsis führte. Er hob seine Kerze, um ihr ins Gesicht zu leuchten, und musterte sie vom Scheitel bis zur Sohle.
Der Generalabt hatte schlecht geschlafen, seine Augen brannten. Die Schönheit des Mädchens, selbst zu dieser Stunde, schien ihn zu verhöhnen – so wie dieser respektlose, unverschämte Maler, so wie Äbtissin Bartolommea.
»Hochwürden.« Lucrezia senkte den Kopf, unschlüssig, wie sie ihn anzureden hatte. »Bruder Saviano.«
»Bruder?« Primas Saviano war sicher, dass sich das Mädchen über ihn lustig machte. Den ganzen Tag lang hatte man sich über ihn lustig gemacht, ihn gedemütigt, seine hohe Stellung missachtet. Er musste an das elegante Gewand im Atelier des Malers denken, an seine Skizze des Mädchens mit entblößtem Schlüsselbein.
»Ich bin Generalabt Ludovico Pietro di Saviano«, verkündete er mit seiner einschüchterndsten Baritonstimme. Lucrezia, deren Blick auf dem Boden klebte, sah, wie sich seine Robe bauschte. Die Kerze in seiner Hand warf seltsame, unheimlich flackernde Schatten auf den Ziegelboden. »Du verwechselst mich doch hoffentlich nicht mit deinem Freund, dem Maler? Der ist ein Bruder, ein ordinärer Bruder, egal, was man dich glauben machte.«
Lucrezias Mund wurde trocken. Sie hatte Angst vor diesem Mann. Sie musste daran denken, was Schwester Pureza in der Kutsche zu ihr gesagt hatte, und versuchte, ihr Gesicht vor ihm zu verbergen. Sie hob die Hand und wollte ihren Schleier tiefer in ihre Stirn ziehen, doch er trat einen Schritt näher und packte ihren Arm.
»Warum versteckst du dich vor mir, Lucrezia?«
Sie roch die unangenehme Ausdünstung seines Körpers, die Folge einer langen, unruhigen Nacht.
»Ich bin müde, Monsignore. Ich bin nur gekommen, um ein kurzes Gebet in der Kirche zu sprechen.«
»Lucrezia.« Der Generalabt sprach ihren Namen aus, und es fühlte sich sinnlich, verführerisch an auf seinen Lippen. »Noch hast du keine endgültigen Gelübde abgelegt, den Schleier nicht für immer angenommen. Sie sagen Schwester Lucrezia zu dir, aber das ist eigentlich nicht ganz korrekt, oder?«
Lucrezia erstarrte. Der Generalabt hielt ihren Arm noch immer gepackt. Sie wand sich, versuchte sich loszureißen. Er trat noch einen Schritt näher. Seine harten Schenkel streiften ihren Hüftknochen, drückten sich an sie.
»Monsignore«, stammelte Lucrezia, »bitte, lasst mich vorbei.«
»Ich war in der Werkstatt deines Freundes. Ich weiß, dass du dein Habit für ihn ausgezogen hast.« Bei diesen Worten ließ der Generalabt ihren Arm los und zerrte an ihrem Gewand. »Ich weiß, dass du das kostbare Kleid einer Florentiner Dame für ihn angezogen hast.«
Er presste sein Gesicht an das ihre und packte ihren Arm an einer höheren Stelle, unter ihrem Busen. Jahre der Enthaltsamkeit wüteten durch seine Lenden.
»Lucrezia, bist du seine Geliebte?«
»Nein!« Panisch versuchte sie sich von ihm loszureißen.
»Er hat viele gehabt, weißt du. Viele Geliebte.« Der Generalabt packte sie fester. »Du bist für ihn nichts Besonderes.« Er schürzte verächtlich die Lippen. »Aber für mich, für mich könntest du etwas Besonderes sein.«
»Nein!« Lucrezia riss sich mit einem Ruck los und trat ihm gegen die Beine. Die Kerze fiel zu Boden und leckte am Saum seiner Robe. Starr vor Verblüffung schaute er nach unten.
Lucrezia ergriff die Gelegenheit, drückte sich an ihm vorbei und verschwand in der Kirche.
»Komm zurück!«, rief der Generalabt, aber Lucrezia stieß einen erstickten Schrei aus und unterdrückte ein Schluchzen. Er war ihr zuwider, das konnte selbst Saviano nicht überhören. Und es kränkte ihn zutiefst.
»Nun, du hast es so gewollt!«, rief er zornig. »Du wirst schon sehen, was du davon hast. Das ist mein Kloster – mein Kloster! Vergiss das nicht!«
Schluchzend rannte Lucrezia durch die Kirche und in den Klostergarten hinaus. Der Generalabt wusste, dass sie sich für Fra Filippo umgezogen hatte, wusste von dem feinen Kleid. Die Hand auf den Mund gepresst, rannte sie durch die erste Tür, die sie erreichte, die Latrine der Nonnen, deren andere Tür ins Dormitorium führte.
Schwester Pureza, die das Schluchzen des
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