Das blaue Zimmer
sie durch die offene Tür den Tisch decken. Er blieb stehen und sah ihr zu. Sie blickte auf, sah ihn und fragte: „Was gibt’s?“
„Du mußt müde sein.“
„Nicht besonders.“
Er fragte wie jeden Abend: „Möchtest du was trinken?“, und Louisa erwiderte wie jeden Abend: „Ein Glas Sherry bitte.“ Sie waren wieder bei ihrem gewohnten täglichen Ab lauf angelangt.
Nichts hatte sich geändert. Am nächsten Morgen fuhr James nach London, verbrachte den Tag im Büro, aß mit einem jun gen Werbetexter im Club zu Mittag und kehrte – im üblichen dichten Stoßverkehr – am Abend aufs Land zurück. Aber er fuhr nicht direkt nach Hause. Er hielt in Henborough an, stieg aus, ging in das Blumengeschäft und kaufte Louisa einen Arm voll zartgelber Narzissen, hellrosa Tulpen, violettblauer Iris. Die Verkäuferin wickelte sie in Seidenpapier, James bezahlte, brachte die Blumen nach Hause und gab sie Louisa.
„James .“ Sie machte ein erstauntes Gesicht, und das mit Recht. Es war nicht seine Gewohnheit, ihr Arme voll Blumen mit nach Hause zu bringen. „Oh, sind die schön.“ Sie begrub ihr Gesicht darin, saugte den Duft der Narzissen in sich hinein. Dann sah sie auf. „Aber warum…?“
Weil du mein Leben bist. Die Mutter meiner Kinder, das Herz meines Hauses. Du bist der Früchtekuchen in der Dose, die sauberen Hemden in der Schublade, die Holzscheite im Korb, die Rosen im Garten. Du bist die Blumen in der Kirche und der Farbgeruch im Badezimmer und Mr. Redmays Aug apfel. Und ich liebe dich.
Er sagte: „Aus keinem besonderen Grund.“
Sie küßte ihn. „Wie war dein Tag?“
„In Ordnung“, sagte James. „Und du? Was hast du ge macht?“
„Oh“, sagte Louisa, „nicht viel.“
„Spanish Ladies“
A n einem Mittwoch Anfang Juli starb der alte Admiral Colley. Er wurde am Samstag darauf beerdigt, der Trau ergottesdienst fand in der Dorfkirche statt, und zwei Wochen später wurde seine Enkelin Jane in derselben kleinen Kirche mit Andrew Latham getraut. Das rief im Dorf einiges Stirn runzeln sowie ein paarvorwurfsvolle Briefe von entfernten äl teren Verwandten hervor, aber die Angehörigen sagten sich: „Er hätte es so gewollt“, und sie trockneten ihre Tränen und fuhren mit den Vorbereitungen fort. „Er hätte es so gewollt.“
Weil es Juli war und morgens um halb sieben, war das Schlafzimmer von Sonnenstrahlen durchflutet, als Laurie auf wachte. Sie lagen wie eine warme Decke auf ihrem Bett. Sie zauberten Bänder aus reflektiertem Licht von dem Dreifach spiegel ihres Toilettentisches, überfluteten den verblichenen rosa Teppich. Durch das offene Fenster konnte sie den blassen, wolkenlosen Himmel sehen, den Vorboten eines herrlichen Tages. Vom Meer her wehte eine Brise und bewegte die Vor hänge mit dem Gänseblümchenmuster. Die Vorhänge paßten zur Tapete und zu den Rüschen an der Steppdecke; Lauries Mutter hatte sie ausgesucht, als Laurie dreizehn und im Inter nat war. Sie erinnerte sich, wie sie nach Hause in das vollkom men neu dekorierte Zimmer kam und ihr Entsetzen verbergen mußte, weil sie sich insgeheim ein Zimmer wünschte, so schlicht und streng wie eine Schiffskabine, mit weißgetünch ten Wänden und Platz für ihre vielen Bücher und einem Bett wie Großvaters, mit Schubladen darunter und einer kleinen Leiter, die man erklimmen mußte, wenn man ins Bett wollte.
Glücklich die Braut, von der Sonne beschienen. Sie horchte. Tief unter ihr in dem alten Haus hörte sie eine Tür zugehen und einen Hund bellen. Sie wußte, daß ihre Mutter schon auf war. Vermutlich saß sie bei ihrer ersten Tasse Morgentee am Küchentisch und schrieb wieder eine ihrer endlosen Listen mit Dingen, die noch zu erledigen waren.
Tante Blanche am Bahnhof abholen.
Friseuse. Bleibt sie zum Mittagessen?
Robert zum Blumengeschäft wegen der Nelken.
Hundefutter. NICHT VERGESSEN.
Glücklich die Braut, von der Sonne beschienen. Auf der gegen überliegenden Seite des Treppenhauses, in dem anderen Man sardenzimmer, lag Jane vermutlich im Schlummer. Jane war nie eine Frühaufsteherin gewesen, und der Umstand, daß dies der Morgen ihrer Hochzeit war, würde sie kaum dazu bewe gen, mit der Gewohnheit von fünfundzwanzig Lebensjahren zu brechen. Laurie stellte sie sich vor, blond und rosig, mit wir ren Haaren, den alten, augenlosen Teddybär unters Kinn geklemmt. Der Teddybär sorgte bei ihrer Mutter für milde Ver stimmung; sie war nicht der
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