Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das blaue Zimmer

Das blaue Zimmer

Titel: Das blaue Zimmer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rosamunde Pilcher
Vom Netzwerk:
hatte auch einen alten Flügel, auf dem er mit Begeiste rung, aber ohne große Kunstfertigkeit spielte. Als Laurie klein war, brachte er ihr Lieder bei, sie sangen sie gemeinsam, und Großvater lieferte die Begleitung. Es waren zumeist rauhe Seemannslieder mit einfachen Melodien. „Whisky Johnny“ und „Rio Grande“ und „Shenandoah“. Aber sein Lieblings lied war „Spanish Ladies“:
     
    Goodbye and farewell to you, fair Spanish ladies,
    Goodbye and farewell to you, ladies of Spain,
    For we have received orders for to sail for old England…
     
    Er spielte es im langsamen Marschrhythmus, mit brausenden Akkorden, und Laurie mußte die langen Noten halten, wobei ihr oft die Puste ausging.
    „Ein wunderbarer langsamer Marsch“, sagte der Großva ter dann und dachte an Colours auf Whale Island, wenn die Kapelle der Royal Marine „Spanish Ladies“ spielte, während der Kapitän die Wache inspizierte und die „White Ensign“, die Flagge der englischen Kriegsmarine, hoch am Morgenhimmel flatterte.
    Er kannte unzählige Geschichten, von Hongkong, Simons town und Malta. Er hatte im Krieg im Mittelmeer gekämpft, war dann in den Fernen Osten und nach Ceylon gefahren. Er hatte Angriffe und Schiffbruch überlebt, war immer wieder aufgetaucht, einen Scherz auf den Lippen, unverwüstlich, hatte überlebt und war einer der beliebtesten Flaggoffiziere der Marine geworden.
    Unverwüstlich. Aber er war nicht unverwüstlich. Kein Mensch war unverwüstlich. Am Ende war er in seinem Sessel gekentert, während er die Barkarole hörte, und das Glas mit Pink Gin war auf die Erde gefallen und in tausend Stücke zer sprungen. Es ließ sich nicht sagen, wie lange er so gesessen haben mochte, ohne daß jemand von seinem Tod wußte, aber ein Fischer, der an seinem Boot arbeitete, hatte zu ihm hinauf gesehen und gemerkt, daß etwas nicht stimmte, und er war zum Haus gegangen, die Mütze in der Hand, um ihnen die Nachricht zu überbringen.
     
    Goodbye and farewell to you, fair Spanish Ladies…
     
    Bei der Trauerfeier hatten sie „Heilig, heilig, heilig“ gesungen und dann „Ewiger Vater, starker Erlöser“. Und Laurie hatte auf den schlichten Sarg gesehen, der in die White Ensign ge hüllt war, und sie war in lautes, unhaltbares Weinen ausgebro chen und mußte von ihrer Mutter diskret zu einem Nebeneingang hinausgeschoben werden. Sie war seit dem Begräbnis nicht wieder in der Kirche gewesen. Gestern hatte sie einen Haufen Vorwände erfunden, um nicht an der Probe für die Trauung teilzunehmen. „Ich bin die einzige Brautjungfer, ich weiß, was ich zu tun habe. Es ist sinnlos, daß ich komme, und hier gibt es so viel zu tun. Ich helfe die Möbel verrücken und sauge den Wohnzimmerteppich.“
    Aber heute – heute war der Hochzeitstag, und es gab keinen Vorwand.
    Und keinen Vorwand, um im Bett zu bleiben. Laurie stand auf, zog sich an und bürstete ihre Haare, dann ging sie nach Jane sehen. Man hatte Jane das Frühstück ans Bett gebracht, was sie liebte, träge, wie sie war. Laurie haßte es, im Bett zu frühstücken, weil sie hinterher immer auf lauter Krümeln saß.
    Sie sagte: „Guten Morgen, wie fühlst du dich?“ und gab Jane einen Kuß, und Jane sagte: „Ich weiß nicht. Wie sollte ich mich fühlen?“
    „Nervös?“
    „Kein bißchen. Nur gemütlich und verwöhnt.“
    „Ein herrlicher Tag heute“, sagte Laurie und zog den Teddy unter dem Kissen hervor. „Hallo, Teddy“, sagte sie zu ihm. „Deine Tage sind gezählt.“
    „Von wegen“, sagte Jane und entriß ihn ihr. „Der lebt noch lange. Er muß es noch überleben, von all unseren Kindern her umgezerrt zu werden. Nimm dir Toast.“
    „Nein, iß du ihn. Du mußt bei Kräften bleiben.“
    „Du auch. Du mußt alles richtig machen, zum Beispiel den Brautstrauß fangen, wenn ich ihn dir zuwerfe, und nett zu dem Trauzeugen sein.“
    „O Jane.“
    „Also hör mal, es ist doch bestimmt nicht unmöglich, nett zu William Boscawan zu sein? Ich weiß, du fauchst immer wie ein verwundetes Tier, wenn er nur ins Zimmer kommt, aber das ist deine Schuld. Er ist immer höflich zu dir gewesen.“
    William Boscawan war ein alter Zankapfel. Sein Vater war der Anwalt der Familie, und als William vor gut fünf Jahren in die Kanzlei eintrat, war er zum Leben und Arbeiten wieder in diese Gegend zurückgekehrt. Und nicht nur zum Leben und Arbeiten, sondern auch um jedem Mädchen im Bezirk das Herz zu brechen. Er hatte sogar einen kleinen Flirt mit Jane, bis sie ihr Herz

Weitere Kostenlose Bücher