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Das blaue Zimmer

Das blaue Zimmer

Titel: Das blaue Zimmer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rosamunde Pilcher
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ausgestreckt und die Hände in den Hosentaschen. „Aber er hat ein bißchen Angst vor Konfetti in den Koffern. Deshalb bin ich gekommen, um Janes Gepäck zu holen, wir wollen es in einem unverdächtigen Wagen verstecken. Er hat nichts gegen Blechbüchsen an der Stoßstange oder im Motor versteckte Heringe, aber er mag nicht, wenn der ganze Fußboden im Ho telzimmer voll Konfetti ist.“
    „Hast du Jane gesehen?“
    „Nein, aber dein Vater hat ihre Sachen runtergeholt. Und da hat er gemerkt, daß du verschwunden warst, aber eine Frau vom Party-Service hatte dich durch den Garten gehen sehen, und so bin ich hergekommen. Bloß um sicherzugehen, daß dir nichts fehlt.“
    Laurie sagte: „Nein, mir fehlt nichts.“
    „Du hast nicht vor, die Hochzeit zu verderben?“
    „Natürlich nicht“, beschied sie ihn kühl. „Solltest du nicht lieber zu Andrew gehen, bevor Panik ausbricht?“
    William sah auf seine Uhr. „Wir haben noch zehn Minuten Zeit.“ Er streckte sich und sah sich um. „Phantastisch ist es hier. Wie auf der Kommandobrücke eines Schiffes.“
    Laurie lehnte sich zurück. „Hast du gewußt“, fragte sie ihn, „hast du gewußt, daß dies nicht immer ein Meeresarm war? Vor langer, langer Zeit, bevor alles versandete, war hier eine Wasserstraße, die tief ins Land hinein reichte. Und die Phöni zier sind bei Flut mit ihren Schiffen angesegelt gekommen, mit Gewürzen und Damast und allen Schätzen des Mittelmeers be laden. Und sie haben angelegt und ausgeladen und Tausch handel getrieben und sich schließlich auf ihre lange, gefähr liche Rückreise begeben, bis zu den Dollborden beladen mit Cornwall-Zinn. Das ist ungefähr zweitausend Jahre her. Denk nur. Zweitausend Jahre.“ Sie sah William an. „Hast du das ge wußt?“
    „Ja“, sagte William. „Aber es war nett, es wieder mal zu hören.“
    „Es ist eine hübsche Vorstellung, nicht?“
    „Ja. Das hält die Dinge im Lot.“
    Laurie sagte: „Großvater hat es mir erzählt.“
    „Das habe ich mir gedacht.“
    Ohne zu überlegen, sagte sie es. „Ich vermisse ihn so sehr.“
    „Ich weiß. Ich glaube, wir alle vermissen ihn. Er war ein wunderbarer Mensch. Er hatte ein wunderbares Leben.“
    Sie hätte nicht gedacht, daß einer wie William den Admiral vermissen würde. Sie sah ihn verwundert an und dachte: Ich kenne ihn gar nicht richtig. Es war nicht, als spräche sie mit einem Fremden in der Eisenbahn. Plötzlich war es ganz leicht.
    „Eigentlich war ich gar nicht so viel mit Großvater zusam men. In letzter Zeit war ich ja kaum noch zu Hause. Aber als ich klein war, war ich die ganze Zeit bei ihm. Ich kann mich nicht an den Gedanken gewöhnen, daß er nie wieder hier sein wird.“
    „Ich weiß.“
    „Es war nicht nur, daß er einem Sachen erzählte, wie die Ge schichte von den phönizischen Schiffen vor zweitausend Jahren. In seinem Leben war so viel passiert. Die ganze Welt hat sich vor seinen Augen verändert. Er hat sich an alles erinnert. Und er hatte immer Zeit zum Reden. Er konnte Fragen beant worten und Dinge erklären. Etwa wie ein Boot gegen den Wind segeln kann, und die Namen der Sterne. Und wie man einen Kompaß benutzt, und wie man Mah-Jongg spielt und Back gammon. Wer soll jetzt Roberts kleinen Kindern all diese wun derbaren Dinge erzählen?“
    „Vielleicht ist das unsere Aufgabe“, sagte William.
    Sie sah ihm in die Augen. Seine Miene war ernst. Sie sagte: „Du findest mich unmöglich, nicht?“
    „Nein.“
    „Ich weiß, daß ich unmöglich bin, und alle denken, ich ver derbe Jane die Freude. Ich tu’s nicht mit Absicht. Es ist bloß, wenn ich ein bißchen mehr Zeit gehabt hätte… Aber diese Hochzeit… “ Ihre Augen füllten sich plötzlich mit Tränen. „Oh, hätten wir sie nur verschieben können. Bloß für kurze Zeit. Ich kann den Gedanken nicht ertragen, in die Kirche zu müssen. Ich kann den Gedanken nicht ertragen, lächeln und nett zu den Leuten sein zu müssen. Ich ertrage es einfach nicht. Alle sagen, Großvater hätte gewünscht, daß die Hochzeit wie geplant stattfindet. Aber woher will einer wissen, was er gewünscht hätte? Sie konnten ihn nicht fragen, weil er nicht da war. Woher können sie wissen… ?“
    Sie konnte nicht weitersprechen. Die Tränen strömten ihr über die Wangen. Sie versuchte sie fortzuwischen, und Wil liam zog ein Taschentuch aus seiner Hosentasche und reichte es ihr, und Laurie nahm es wortlos an, wischte mit dem wei chen Baumwolltuch die Tränen ab, putzte sich dann die Nase.

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