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Das blaue Zimmer

Das blaue Zimmer

Titel: Das blaue Zimmer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rosamunde Pilcher
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gerufen. Es hat eine Weile gedauert, Will zu finden, aber jetzt ist er unterwegs.“
    „Ist…?“ Es war unmöglich, mit dem Hinterkopf eines Menschen zu sprechen. Oliver kletterte auf den Vordersitz. „Ist es schlimm, daß das Baby zwei Wochen zu früh kommt? Es wird ihm doch nicht schaden?“
    Ben sah Oliver an, und Oliver bemerkte, daß die seltsamen Augen anders aussahen, nicht mehr hart, sondern sanft wie der Himmel an einem kühlen Frühlingsmorgen. Er sagte: „Hast du Angst um sie?“
    „Ein bißchen.“
    „Mach dir keine Sorgen. Sie ist gesund und kräftig, und die Natur ist etwas Wunderbares.“
    „Ich“, sagte Oliver, „ich finde die Natur schrecklich.“
    Ben wartete, daß er das näher erläuterte, und mit einemmal war es ganz leicht, sich diesem Mann anzuvertrauen, ihm Dinge zu sagen, die er niemandem, nicht einmal Will, gestan den hätte. „Sie ist grausam. Ich habe noch nie auf dem Land gelebt. Ich hab nicht gewußt, wie das ist. Das Tal und der Hof… überall Füchse und Falken, alle töten sich ge-genseitig, und gestern morgen lag ein totes Kaninchen auf dem Weg. Und heute nacht war der Wind so wild, und ich hab die See gehört und mußte dauernd an ertrunkene Seeleute und gekenterte Schiffe denken. Warum muß das so sein? Und dann ist der Baum gestürzt, und das Baby kommt zu früh…“
    „Ich hab dir gesagt, um das Baby brauchst du dir keine Sor gen zu machen. Es ist nur ein bißchen ungeduldig, weiter nichts.“
    Oliver war nicht überzeugt. „Aber woher wissen Sie das?“
    „Ich weiß es eben“, erwiderte Ben ruhig.
    „Haben Sie mal ein Baby gehabt?“
    Die Frage war herausgeplatzt, bevor er Zeit hatte zu denken. Sobald er es ausgesprochen hatte, bereute er seine Worte, denn Ben Fox drehte sich von ihm weg, und Oliver konnte nur die scharfe Kante seines Backenknochens sehen, die Falten um sein Auge, den vorspringenden Bart. Ein langes Schweigen lag zwischen ihnen, und es war, als sei der Mann weit weggegan gen. Schließlich hielt Oliver es nicht mehr aus. „Hatten Sie mal eins?“ hakte er nach.
    „Ja“, sagte Ben. Er wandte sich Oliver wieder zu. „Aber es wurde tot geboren, und meine Frau habe ich auch verloren, denn sie starb bald danach. Aber weißt du, sie war nie kräftig. Die Ärzte haben gesagt, sie darf kein Kind bekommen. Mir hätte es nichts ausgemacht. Ich hätte mich damit abgefunden, aber sie wollte es unbedingt riskieren. Sie sagte, eine Ehe ohne Kinder wäre nur eine halbe Ehe, und ich habe nachgegeben.“
    „Weiß Sarah das?“
    Ben Fox schüttelte den Kopf. „Nein. Hier weiß es kein Mensch. Wir haben in Bristol gewohnt. Ich war Professor für Englisch an der Universität. Aber als meine Frau gestorben war, konnte ich dort nicht mehr bleiben. Ich habe meine Arbeit an den Nagel gehängt und bin hierhergekommen. Ich habe schon immer mit Holz gearbeitet – das war mein Hobby –, und jetzt verdiene ich mein Geld damit. Es lebt sich gut da oben auf dem Hügel, und die Leute sind nett. Sie lassen mir meine Ruhe, respektieren mein Privatleben.“
    Oliver meinte: „Aber wäre es nicht leichter, Freunde zu haben? Mit Leuten zu reden?“
    „Vielleicht. Eines Tages.“
    „Mit mir reden Sie.“
    „Wir reden miteinander.“
    „Ich dachte, Sie laufen vor irgendwas weg.“ Er beschloß, reinen Tisch zu machen. „Ich hab wirklich gedacht, daß Sie was zu verbergen haben, daß die Polizei hinter Ihnen her ist oder daß Sie vielleicht jemand ermordet haben. Sie sind weg gelaufen.“
    „Nur vor mir selbst.“
    „Laufen Sie jetzt nicht mehr weg?“
    „Vielleicht“, sagte Ben Fox. „Vielleicht hört es jetzt auf.“ Plötzlich lächelte er. Es war das erste Mal, daß Oliver ihn lächeln sah, er bekam ganz viele Fältchen um die Augen, seine Zähne waren weiß und ebenmäßig. Mit seiner riesigen Hand zauste er Olivers Haare. „Vielleicht ist es Zeit, das Weglaufen zu beenden. So wie es für dich Zeit ist, dich mit dem Leben ab zufinden. Das ist nicht leicht. Es ist einfach eine lange Reihe von Herausforderungen, wie Hürden bei einem Rennen. Und ich nehme an, sie hören nicht auf, bis zu dem Tag, an dem du stirbst.“
    „Ja“, sagte Oliver, „so wird es wohl sein.“
    Sie blieben noch ein Weilchen sitzen, in behaglichem, ein mütigem Schweigen, und dann sah Ben Fox auf seine Uhr. „Was möchtest du lieber, Oliver, hier sitzen bleiben und auf Will warten oder mit mir kommen und irgendwo was essen?“
    Essen war eine prima Idee. „Ein Hamburger wär nicht

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