Das Blut - Del Toro, G: Blut - The Fall
Als wir begriffen, in welcher Gefahr wir schwebten, war es bereits zu spät. Der Jüngste hat uns getäuscht. Er machte uns glauben, dass Tschernobyl seine Herkunftsstätte sei, und wir ergriffen die entsprechenden Maßnahmen. Welch teuflische List! Wir haben so lange im
Schatten gelebt, uns von Aas ernährt. Und dann hat er den ersten Zug gewagt …
»Also wisst ihr, dass euer Schicksal besiegelt ist?«
Plötzlich: Ein leises Zischen. Ein weißes Licht …
… und der Alte zu Setrakians Linken verwandelte sich im Bruchteil einer Sekunde zu Staub, der mit einem knisternden Geräusch - ähnlich einem langgezogenen Seufzen - zu Boden rieselte. Eine halb elektrische, halb psychische Schockwelle erfasste die im Raum Versammelten.
Fast im selben Augenblick lösten sich zwei der Jäger auf, doch sie hinterließen weder Asche noch Staub; lediglich ihre Kleidung blieb übrig.
Der Meister hatte erneut zugeschlagen. Hatte eine weitere Nuklearexplosion irgendwo auf der Welt eingeleitet.
Er vernichtete alle seine Rivalen. Einen nach dem anderen.
Nach einer Weile ertönte in ihren Köpfen die Stimme des letzten Alten der Neuen Welt.
Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass wir ursprünglich etwas Ähnliches vorhatten. Wir ließen zu, dass sich das Vieh seine eigenen Ställe baute, sich die Waffen und die Techniken zu seiner eigenen Vernichtung schuf. Die angeblich höchstentwickelte Lebensform des Planeten hat ihn zu unseren Gunsten verändert. So wollten wir abwarten, bis der Treibhauseffekt nach einem Atomkrieg oder einer nuklearen Katastrophe unumkehrbar gewesen wäre. Dann hätten wir uns den Menschen offenbart und die Macht an uns gerissen.
»Ihr wolltet die Welt in einen Vampirbau verwandeln«, sagte Setrakian.
Der nukleare Winter ist das Paradies für uns. Lange Nächte, kurze Tage. Wir hätten auf der Erdoberfläche wandeln können, geschützt durch die für alle Zeit verschmutzte Atmosphäre. Wir waren unserem Ziel sehr nahe. Doch er hat es vorausgesehen. Er hat vorausgesehen, dass er diesen Planeten
und seine reichhaltigen Nahrungsquellen mit uns hätte teilen müssen. Das wollte er nicht.
»Ist das sein Ziel? Die Alleinherrschaft?«
Sein Ziel ist Schmerz. Der Jüngste dürstet nach allem Schmerz, dessen er habhaft werden kann. Er giert danach, er kann nicht davon lassen. Diese Sucht nach Schmerz liegt in unserer Herkunft begründet.
Setrakian machte einen Schritt auf den Alten zu. »Wir müssen uns beeilen. Wenn ihr durch die Vernichtung eurer Herkunftsstätte ausgelöscht werden könnt, dann auch er.«
Du weißt, was in dem Buch steht. Nun kommt es darauf an, es richtig zu deuten.
»Verrät es seine Herkunftsstätte?«
In deinen Augen, Abraham Setrakian, waren wir das absolut Böse. Die Geißel der Menschheit. Du hast geglaubt, wir seien die Vernichter deiner Welt - dabei waren wir diejenigen, die alles zusammenhielten. Bald werdet ihr unter der Knute des wahren Herrschers stehen.
»Nicht, wenn ihr mir sagt, wo …«
Wir sind dir nichts schuldig. Unsere Zeit ist zu Ende.
»Dann helft mir wenigstens, Vergeltung zu üben. Wollt ihr euch denn ungestraft vernichten lassen?«
Wie so oft stößt der menschliche Verstand an seine Grenzen. Die Schlacht ist verloren. Nun, da sich der Jüngste gezeigt hat, müsst ihr damit rechnen, dass er seine Herkunftsstätte gut befestigt hat.
»Wo ist sie?« Setrakians Stimme war kaum mehr als ein Flüstern.
Sadum. Amurah.
»Was bedeutet das?« Der alte Professor hob die Hand mit dem Occido Lumen . »Die Stätte ist hier verzeichnet, da bin ich mir sicher. Aber ich brauche Zeit, um das Buch zu entschlüsseln. Zeit, die wir nicht haben.«
Wir wurden weder geboren noch erschaffen. Unsere Saat entspringt einem Akt der Barbarei, einer Gräueltat, einem
Frevel gegen die göttliche Ordnung. Was einst gesät wurde, wird jetzt geerntet werden.
»Wie unterscheidet er sich von euch?«
Er ist stärker als wir - doch er ist wie wir. Wir sind er - aber er ist nicht wir.
Setrakian fuhr zusammen: Blitzschnell hatte sich der Alte zu ihm vorgebeugt. Das Gesicht des Wesens, sein ganzer Kopf war wie glatt geschliffen, allein die tiefroten Augen, der kleine Nasenstummel und ein nach unten gezogener Mund, der sich in eine scheinbar unendliche Finsternis öffnete, waren zu erkennen.
Eines verlangen wir von dir: Sammle unsere Überreste bis zum letzten Körnchen. Verwahre sie in einem Schrein aus Silber und Weißeiche. Es ist von höchster Wichtigkeit, dass du diese Aufgabe
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