Das Blut der Azteken
die Anklagepunkte mitzuteilen?«
»Das Tribunal.«
»Wann werde ich das Tribunal sehen?«
»Nach Eurem Geständnis.«
»Das ist doch Wahnsinn.«
»Ihr habt die falsche Einstellung«, schalt er mich. »Ihr greift zu der Logik, die Kaufleute benutzen, wenn sie um einen Ballen Wolle feilschen. Aber wir verhandeln hier nicht um eine Rinderhälfte oder den Ausgang eines Kartenspiels. Es kümmert uns nicht, welches Blatt Ihr in der Hand haltet oder ob Ihr versucht, uns mit schönen Worten zu täuschen. Eure Pflicht ist es, Eure Sünden zu gestehen. Wenn Ihr dieser Pflicht nicht nachkommt, wird man die Wahrheit aus Euch herausholen.«
»Eure Folter presst Unschuldigen Geständnisse ab. Ich habe nichts zu gestehen. Was geschieht, wenn ich schweige? Foltert Ihr mich dann zu Tode?«
»Gott erkennt die Seinen. Solltet Ihr unschuldig unter der Folter sterben, werdet Ihr den ewigen Frieden finden. Diese Vorgehensweise ist gerecht, und Gott selbst billigt sie. Wir sind nur seine Diener. Ihr erhaltet die Gelegenheit zu gestehen, bevor man die Wahrheit von Euch erzwingt. Niemand wird bestraft, ohne die Möglichkeit zur Reue zu bekommen. Der Ankläger wird Zeugen aufrufe n, die Vorwürfe gegen Euch erhoben haben. Euer Anwalt kann Zeugen zu Euren Gunsten benennen. Bis dahin werdet Ihr nicht bestraft.«
»Wann werde ich vor das Tribunal gerufen?«
»Nach Eurem Geständnis.«
»Und wenn ich nicht gestehe?«
Der Mann schnaubte durch die Nase, offenbar hatte er genug von meinem Starrsinn.
»Wenn Ihr nicht gesteht, werdet Ihr schuldig gesprochen. Das Tribunal wird die Schwere Eurer Schuld feststellen und die Strafe über Euch verhängen.«
»Gut«, meinte ich. »Und wenn ich jetzt gestehe, komme ich dann vor das Tribunal?«
»Erst wenn der Befehl dazu ergeht. Bei manchen geschieht es schnell, bei anderen…«
»Was behaupten die Leute denn von mir, dass Ihr mich für einen schlechten Menschen haltet?«
»Das erfahrt Ihr in der Verhandlung.«
»Aber wie soll ich mich gegen diese Vorwürfe anderer Menschen verteidigen, wenn ich sie vor der Verhandlung gar nicht kenne?«
»Unser Gespräch dreht sich im Kreis, und ich habe genug davon.« Er beugte sich zu der Luke und flüsterte: »Wegen der Schwere der Anschuldigungen werde ich Euch einen der Anklagepunkte nennen, damit Ihr gestehen und auf Gnade hoffen könnt. Es geht um ein christliches Kind.«
»Ein christliches Kind?«
»Ein vermisstes Kind wurde tot in einer Höhle gefunden. Ein kleines Mädchen. Das Kind war an ein Kreuz genagelt so wie unser Erlöser. Mit ihrem nackten Körper wurden unaussprechliche Dinge angestellt. Nur wenige Meter entfernt wurden jüdischer Wein und Becher mit dem Zeichen der Juden entdeckt. Einer der Becher enthielt außer Wein das Blut des Kindes.«
»Und was habe ich mit dieser Gräueltat zu tun?«
»Zeugen haben gesehen, wie Ihr die Höhle verlassen habt.«
Wahrscheinlich konnte man meinen empörten Aufschrei bis in den Palast des Vizekönigs hören. In der Dunkelheit rang ich die Hände und flehte Gott um Gnade an.
»Nein! Ich habe mit diesem abscheulichen Verbrechen nichts zu schaffen. Ja, ich habe gesündigt. Heiliger Vater im Himmel, ich habe ein paar anstößige Bücher verkauft, doch mehr habe ich nicht getan. Niemals habe ich…«
Abrupt schloss ich den Mund. Eine selbstzufriedene Miene breitete sich auf seinem Gesicht aus. Die Geschichte mit dem Kind war nur ein Trick gewesen, um mich zu erschrecken und zu einem Geständnis meiner wahren Verbrechen zu bringen. Und es hatte geklappt.
»In Neuspanien wimmelt es von Juden«, zischte er. »Sie geben sich als gute Christen aus, doch in Wirklichkeit planen sie, alle Christen zu töten. Es ist die Pflicht aller guten Christen, die falschen Christen zu melden, selbst die, die zu ihrer eigenen Familie gehören.«
»Warum seid Ihr hier?«, fragte ich.
»Um Euer Geständnis zu hören und dem Tribunal mitzuteilen, dass Ihr bereut.«
»Ihr habt es gehört. Ich bin ein guter Christ. Ich habe ein paar anstößige Bücher verkauft. Ich bereue meine Sünden. Schickt mir einen Priester, damit ich die Beichte ablegen kann. Sonst habe ich mir nichts vorzuwerfen.«
»Von den jüdischen Umtrieben Don Julios und seiner restlichen Familie habt Ihr noch nichts gesagt.«
»Das werde ich auch nicht tun, weil es eine Lüge wäre. Wann werde ich meinen Anwalt sehen?«
»Das habt Ihr bereits. Ich bin es.«
Später holte man mich aus meiner Zelle und brachte mich in einen Raum voller Streckbänke und
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