Das Blut der Azteken
stärker unter der Knute von Kirche und König. In großen Städten hingegen, wie in Sevilla, Cádiz und sogar in Madrid, sind sie weltgewandter. Die Hälfte der Männer auf den Straßen hat in ausländischen Kriegen gekämpft. Die feinsten Damen begegnen Seeleuten und Soldaten, die die Welt gesehen haben. Selbst die Inquisitoren überlegen es sich hier gründlicher, wen sie anklagen. Wenn sie nicht sicher sind, dass es sich bei dem Beschuldigten wirklich um einen Juden oder Mauren handelt, sind sie vorsichtig, weil sie mit Vergeltung rechnen müssen.«
Sich an einem Inquisitor rächen? Als ich von dieser Gotteslästerung hörte, bekreuzigte ich mich unwillkürlich.
»Wenn man eine Kuh melken will«, fuhr Mateo fort, »muss man sie gut einsperren, damit niemand sonst an die Milch herankommt. Der König hält die Kolonien an der kurzen Leine, weil sie die Kühe sind, die gemolken werden sollen. Dazu gehört nicht nur eine strenge Überwachung der Schiffe, damit nichts unbemerkt das Land verlässt oder dorthin geliefert wird. Die Soldaten des Vizekönigs und die Inquisition sollen die Macht des Königs ebenfalls verteidigen. Sie sind zwar auch im Mutterland tätig, doch das Volk hat nach den jahrhundertelangen Kämpfen gegen die Mauren nicht mehr viel Geduld mit kleinlichen Tyrannen.«
In den lauten, geschäftigen und übel riechenden Straßen und Gassen von Sevilla vermisste ich den ruhigen Charme von Mexiko-Stadt. Ich kam zu dem Schluss, dass Sevilla mich an einen herumstolzierenden Bullen erinnerte - dick und fett, ungehobelt, prahlerisch und ohne eine Spur von Kultur.
»Na, Bastardo, wenn du das Theaterpublikum in Mexiko-Stadt als ungebärdige Rabauken empfunden hast, warte nur, bis du die Zuschauer in Sevilla erlebst. Es sind schon Schauspieler wegen einer falschen Textzeile umgebracht worden.«
»Du hast mir versprochen, dass wir die Finger vom Theater lassen«, erwiderte ich. »Ein Besucher aus Neuspanien könnte uns erkennen.«
»Du bist zu ängstlich, mein Freund. Außerdem habe ich dir gar nichts versprochen. Ich habe nur so getan, als wäre ich deiner Ansicht, damit du mit deinem ständigen Gejammer aufhörst.«
»Du hast gesagt, du müsstest einen Bogen ums Theater machen, weil du Schulden gehabt hättest und über einen Gläubiger, der dich beleidigt hat, mit dem Schwert hergefallen wärst.«
Mateo klopfte auf seine mit Gold gefüllte Tasche. »Ich kannte einmal einen Alchemisten, der glaubte, mit Gold Krankheiten heilen zu können. Der Mann hatte Recht, auch wenn es sich bei den mit Gold zu behandelnden Leiden um gesellschaftliche Übel wie Schulden und Verstöße gegen die öffentliche Ordnung handelt. Diese kleinen Bühnen, mit denen wir uns abgegeben haben - unter dem Dach des El Coliseo dagegen könnte man halb Mexiko-Stadt unterbringen. Doch am liebsten ist mir das Doña Elvira, das der Graf von Celves gebaut hat. Es ist noch älter als das Coliseo und hat kein so großes Dach, aber ein Schauspieler ist dort viel besser zu hören. Allerdings hängt es vom Stück ab, in welches Theater wir gehen…«
Ich seufzte auf. Es war zwecklos, ihm zu widersprechen. Das Theater lag ihm nun einmal im Blut. Auch meine eigenen Vorbehalte schwanden. Ich hatte so viele Jahre in der Hölle verbracht, und seine Aufregung war ansteckend. Allein die Erwähnung eines Theaterstückes ließ mein Herz höher schlagen.
»Doch am wichtigsten ist, dass unsere Kleidung unserem Stand als wohlhabende Caballeros entspricht. Nur die feinste Seide, das beste Leinen und die weichste Wolle kommen für unsere Wämser, Hosen und Mäntel infrage. Das Stiefelleder muss glatter sein als ein Kinderpopo, und die kostbarsten Federn sollen unsere Hüte schmücken. Außerdem Schwerter! Und mit Juwelen besetzte Dolche! Schließlich gehört es sich nicht, einen Edelmann mit einer Holzfälleraxt ins Jenseits zu befördern.«
Ach, du meine Güte! Wir waren zwar ziemlich vermögend, doch für einen Mann, dessen finanzielle Maßstäbe sich an Amadís de Gaula orientierten, wären selbst die Schätze des Krösus ein Almosen gewesen.
Aus unserem Plan, bescheiden zu leben und keine Aufmerksamkeit zu erregen, würde wohl nichts werden. Wahrscheinlich konnte ich mich schon glücklich schätzen, wenn Mateo nicht mit einem Prunkwagen in Sevilla einzog wie Cäsar und seine Legionen bei ihrer Rückkehr nach Rom.
12
Don Cristo, darf ich dir Doña Ana Franca de Henares vorstellen?«
»Gnädige Frau.« Ich begrüßte sie mit einer tiefen,
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