Das Blut der Azteken
erstaunt. »Beim gemeinen Volk?«
Das Funkeln in ihren Augen verriet mir, dass ich es mit zwei Wahnsinnigen zu tun hatte, die es durchaus mit Mateo hätten aufnehmen können. Allerdings sollte ich bald herausfinden, dass mein Freund verglichen mit diesen beiden Frauen in Männerkleidung ein wahres Lamm war.
Das Stück galt als fast so gut wie die Geschichte von Don Quijote, ein Meisterwerk der spanischen Literatur. Doch es war auch sehr umstritten.
»Die Inquisition ist sich, was La Celestina betrifft, nicht sicher, weshalb das Stück manchmal auf der Liste der verbotenen Bücher steht und dann wieder gestrichen wird«, meinte Ana. »Ist es gerade verboten, kümmert sich niemand darum, was den Sittenwächtern großes Kopfzerbrechen bereitet. Die familiares wagen es nicht, den Autor oder das Ensemble zu verhaften, weil das Publikum es nicht zulässt.«
Die Comedia de Calisto y Melibea, allgemein La Celestina genannt, war kein neues Stück. Die Uraufführung hatte im Jahr 1499 stattgefunden, sieben Jahre nach der Entdeckung der Neuen Welt und zwanzig Jahre vor dem Untergang des Aztekenreiches. Das Drama um die Tragödie zweier Liebender umfasste die gewaltige Menge von einundzwanzig Akten.
Celestina ist eine Kupplerin, die sich als Vermittlerin zwischen zwei jungen Liebenden, Calisto und Melibea, betätigt. Calisto stammt aus dem niederen Adel, Melibea ist von höherem Stand und sehr wohlhabend, was eine Ehe unmöglich macht. Allerdings treffen sie sich heimlich und verstoßen gegen die guten Sitten, indem sie nicht nur über die Liebe sprechen, sondern ihre Leidenschaft auch körperlich ausleben.
Die wirkliche Hauptperson des Stückes ist Celestina, eine böswillige und gerissene Frau. Ihr derber Humor und ihre spöttischen Anmerkungen begeistern das Publikum immer wieder, auch wenn sie letztlich durch ihre Ränke und ihre Habgier zu Fall gebracht wird. Für ihre Vermittlungsdienste bezahlt, weigert sie sich, das Gold mit ihren Mitverschwörern zu teilen, die - nachdem sie sie getötet haben - selbst von einer wütenden Menschenmenge umgebracht werden.
Doch nichts kann die beiden Liebenden vor ihrem Schicksal bewahren. Ihre wilde Leidenschaft führt schließlich zu ihrem Untergang.
Calisto kommt bei einem Sturz von der Leiter zu Tode, als er zu Melibeas Zimmer hinaufsteigen will. Melibea - deren Liebhaber tot und deren Ehre durch den Verlust der Jungfräulichkeit ruiniert ist - wirft sich aus dem Fenster eines Turmes.
»Ihr Versuch, ihrem Los zu entrinnen, war zum Scheitern verurteilt«, erklärte mir Ana auf der Kutschfahrt zum Theater. »Das Schicksal und die Sitten bestimmten -so wie bei uns allen - ihr Ende vorher. Und das zeigt uns, dass es vergeblich ist, sich gegen die Götter zu stellen.«
»Wer ist der Autor?«, fragte ich.
»Ein konvertierter Jude, ein Anwalt. Er hat das Stück zunächst aus Angst vor der Inquisition anonym veröffentlicht.«
Als ich das Stück sah, konnte ich die Befürchtungen des Verfassers gut nachvollziehen. Die Sprache war ziemlich derb, und die aufgeblasenen neuspanischen Inquisitoren hätten vermutlich einen Tobsuchtsanfall bekommen, wenn sie alle einundzwanzig Akte von La Celestina hätten mitansehen müssen. Denn schließlich drehte sich das Stück hauptsächlich um Lust, Laster, Aberglauben und das Böse. Ich malte mir aus, wie ich sie, um der himmlischen Gerechtigkeit willen, fesselte, ihnen die Augenlider hochsteckte und sie zwang, das Stück mehrere Male über sich ergehen zu lassen.
Und die Tomaten? Ich fragte mich, was die beiden Frauen wohl mit den Tomaten vorhatten. Als wir ins Theater kamen, drängten sich auf dem Parkett Männer, die wild durcheinander redeten. Offenbar hatten alle von ihnen das Stück schon einmal gesehen, einige von ihnen kannten anscheinend sogar diese Inszenierung. Fliegende Händler und einfache Arbeiter erörterten die Schauspieler, ihre Sprechweise, ihre Patzer und ihre Triumphe, als hätten sie selbst das Stück verfasst. Die Aufführung fand nachmittags statt, um das Sonnenlicht zu nutzen. Was hatten diese Taugenichtse mitten an einem Arbeitstag im Theater zu suchen?
Doch auch ich gewöhnte mich bald daran, nur Bestleistungen zu erwarten.
»Dafür haben wir schließlich Eintritt bezahlt«, sagte Ana. »Als ich noch auf der Bühne stand, lebte ich von den Münzen, die mir während der Vorstellung zugeworfen wurden. Wenn ich eine Rolle nicht gut spielte, musste ich hungern. Dumme Gans!«, brüllte sie der Schauspielerin zu, die die
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