Das Blut der Azteken
meine innersten Geheimnisse offenbarte. Allerdings sitze ich immer noch in der Zelle. Anders als Mateo, der Theaterschriftsteller, bin ich nicht in der Lage, eine Rolle für mich zu schreiben, die es mir ermöglicht, durch eiserne Gitter zu spazieren.
Ich schinde beim Hauptmann Zeit, indem ich ihm einige meiner Abenteuer erzähle. So verhindere ich, dass er mich wieder auf Gedeih und Verderb dem Priester der Inquisition ausliefert, der die Gnade Gottes zu erringen versucht, indem er seinen Mitmenschen Schmerzen zufügt. Während ich diese Chronik eines in Lüge verbrachten Lebens niederschrieb, sah ich häufig Bruder Osorio. Wie ein Geier, der des Todes eines verletzten Tieres harrt, schreitet er vor meiner Zelle auf und ab und schlägt mit den Flügeln, als warte er nur auf den Befehl, mich erneut mit glühend heißen Zangen zu piesacken.
Doch jede Geschichte hat einmal ein Ende. Und es wäre verwerflich von mir, den Leser so lange hinzuhalten, ohne ihn dabei sein zu lassen, wenn die Karten des Schicksals endlich offen auf dem Tisch liegen.
Deshalb habe ich eine beträchtliche Menge des hübschen, dicken Papiers, das der Vizekönig mir zur Verfügung gestellt hat, unter meinem Hemd versteckt. Denn ich beabsichtige, in den mir noch vergönnten spärlichen Momenten und an den geheimen Orten, an die das Leben mich führen wird, weiterzuschreiben.
13
Ich saß also das zweite Mal in einem Kerker. Doch trotz der schmerzhaften Erinnerungen, die die Folterknechte des Vizekönigs als Strafe für meine vielen Schandtaten bei mir hinterlassen hatten, war dieses Gefängnis dem finsteren Verlies der Inquisition bei weitem vorzuziehen. Der Kerker des Vizekönigs war zwar düster und ungemütlich, lag aber wenigstens über der Erde, sodass meine Zelle trocken blieb. Und da sie anstelle einer Eisentür über Gitterstäbe verfügte, war sie auch heller als der pechschwarze Hades, den die Inquisitoren unterhielten.
Hätte man nicht darauf bestanden, mich immer wieder aus der Zelle zu zerren und mich Folterungen zu unterwerfen, wie der Teufel selbst sie sich nicht besser hätte ausdenken können, das Warten auf meine Bestrafung wäre einigermaßen erträglich gewesen.
Wenn ich nicht gerade damit beschäftigt war, meine Geschichte niederzuschreiben oder an Eléna zu denken und mich um sie zu sorgen, malte ich mir genüsslich aus, wie ich mit Bruder Osorio aus Veracruz umspringen würde.
Während nachts Maden in meinen Wunden und Geschwüren fraßen, stellte ich mir gerne vor, wie ich ein Feuer unter dem Geistlichen anzündete, kein großes, sondern nur ein ganz kleines, das genügte, um ihm ein wenig einzuheizen und mir das Vergnügen bereitete, mich an seinen Schmerzensschreien zu ergötzen.
Es waren aufmunternde Gedanken für eine Kerkerratte, die nicht einmal wusste, welcher Tag in der Woche es war. Ich war so oft besinnungslos gewesen, dass ich das Zeitgefühl verloren hatte. Seit meiner Verhaftung war schätzungsweise ein guter Monat vergangen, als ich die Folterknechte ausgenommen - zum ersten Mal Besuch erhielt. Gewiss hatte mein Besucher die Wachen bestochen, um den berüchtigtsten Verbrecher der Kolonie sehen zu dürfen. Er hatte sich mit einem Kapuzenumhang vermummt, damit niemand ihn erkannte.
Als ich sah, wie sich die dunkle Gestalt der Zelle näherte, glaubte ich zunächst, Mateo vor mir zu haben. Da ich gerade an meinen Aufzeichnungen gesessen hatte, sprang ich, den Federkiel noch in der Hand, auf und lief zum Zellengitter. Doch es war nicht mein Freund, und er war auch nicht gekommen, um mich zu retten.
»Wie gefällt dir der Aufenthalt bei deinen Brüdern, den Ratten und den Kakerlaken?«, fragte Luis.
»Ausgezeichnet. Denn im Gegensatz zu meinem zweibeinigen Bruder werden sie nicht von Hass und Gier zerfressen.«
»Bezeichne mich nicht als deinen Bruder. Mein Blut ist rein.«
»Vielleicht bekomme ich es eines Tages ja mal zu sehen. Ich vermute, dass es gelb ist.«
»Du wirst gewiss nicht lange genug leben, um mein Blut zu vergießen.«
»Bist du aus einem bestimmten Grund hier, Bruder?«
Blanker Hass malte sich in seinem Gesicht. Seine Augen funkelten bösartiger als die einer in die Enge getriebenen Ratte, und er verzog verächtlich den Mund.
»Das Aufgebot wird bestellt. Während du in diesem Kerker verrottest, werde ich Eléna heiraten.«
»Du kannst sie zwingen, deine Frau zu werden, aber niemals, dich zu lieben. Dich liebt sowieso niemand mit Aus nahme der bösen alten Frau, die über Leichen
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