Das Blut der Azteken
sie als Notausgang im Fall eines Brandes oder Angriffs. Vom Palastdach aus kann er über die anderen Dächer bis zum Gefängnis klettern.«
»Und was hat er auf dem Dach vor?«
»Dort befinden sich die Kamine für den Kerker und die gesamte Gefängnisanlage. Er hat Schwarzpulverbomben hergestellt, um sie in die Kamine zu werfen, auch in den der Wachstube. Sie explodieren zwar nicht wie Kanonenkugeln, erzeugen aber jede Menge Qualm.«
»Und was bezweckt er mit diesen Bomben, außer mich zu ersticken?«
»Sie sollen von deiner Flucht ablenken«, erwiderte Don Eduardo. »Meine Kutsche wartet draußen. Wenn alles voller Rauch ist, laufen wir hinaus, steigen in die Kutsche und fahren davon.«
Ich starrte sie entgeistert an. »Und die Gitterstäbe? Werden die etwa vom Rauch aufgeweicht, damit ich hindurchschlüpfen kann?«
»Ich habe einen Schlüssel«, entgegnete Eléna. »Der Geliebte meiner Zofe ist Wachmann. Er hat mir einen Schlüssel gegeben, der zu den Zellen und zu den Türen passt.«
Ich überlegte kurz. »Die Wärter werden mich erkennen und festhalten.«
»Wir haben ein Priestergewand mitgebracht«, antwortete Eléna. »In all dem Durcheinander kannst du dich so unbemerkt davonmachen.«
»Und wenn sie meine Zelle überprüfen…« »Werden sie mich darin vorfinden«, sagte sie.
»Was?«
»Pssst«, zischte sie. »Eigentlich wollte dein Vater deinen Platz in der Zelle einnehmen, doch ihn würden sie hängen, wenn sie ihn dort antreffen. Mir hingege n werden sie kein Haar krümmen.«
»Man wird dich wegen Fluchthilfe anklagen.«
»Nein. Ich behaupte einfach, ich hätte dich besucht, um dir noch einmal für die Rettung meines Lebens zu danken und mich von dir zu verabschieden. Doch du seist irgendwie in den Besitz eines Schlüssels gelangt und hättest mich in die Zelle gezerrt, als alles voller Rauch war.«
»Das wird man dir nie glauben.«
»Sie werden mir glauben müssen. Mein Onkel wird eine andere Auslegung meines Verhaltens niemals gestatten. Wenn seine Nichte und sein Mündel einem Sträfling, der unter seine Zuständigkeit fällt, zur Flucht verhelfen hätte, würde man ihn degradieren und nach Spanien zurückbeordern. Er wird mir die Geschichte also nicht nur abnehmen, sondern sie auch noch bestätigen.«
»Dein Freund Mateo wartet mit einem zusätzlichen Pferd draußen vor dem Palast«, fügte Don Eduardo hinzu.
»Wir werden es nie über die Brücke schaffen.«
»Er hat einen Plan.«
»Mateo hat ständig Pläne.« Und ich wusste deshalb aus eigener Erfahrung, dass diese häufig in einer Katastrophe endeten.
Lächelnd drückte Eléna mir die Hand. »Cristo, hast du einen besseren Vorschlag?«
Ich schmunzelte. »Gut, ich bin dabei. Was habe ich schon zu verlieren außer meinem Leben, und das wird man mir auch nicht mehr lange lassen. Also, meine Freunde, sagt mir, wann ist der große Tag?«
Don Eduardo nahm eine kleine Sanduhr aus der Westentasche und stellte sie auf einen waagerechten Gitterstab. »Mateo hat auch so eine Sanduhr. Wenn die obere Hälfte leer ist, wirft er die Bomben.«
Ich starrte auf die Sanduhr. »Sie ist schon fast leer.«
»Genau. Also halte dich bereit«, erwiderte er. »In wenigen Minuten wirst du in dem Priestergewand, das Eléna trägt, hier hinausgehen. Halte den Kopf gesenkt. In der Tasche der Kutte ist ein Taschentuch. Drück es dir immer fest vor das Gesicht und reibe es daran. Eléna hat schwarzen Puder darauf gestreut, damit es aussieht, als hättest du Ruß im Gesicht.«
Eléna steckte den Schlüssel ins Schloss, drehte ihn langsam um und reichte ihn mir dann durch die Gitterstäbe.
»Geh mit Gott«, flüsterte sie.
Die Körnchen in der Sanduhr wurden rasch weniger. Angespannt warteten wir, bis das letzte Körnchen gefallen war. Nichts geschah.
»Mateo hat…«, begann ich.
In diesem Moment wurde das Gefängnis von einer Explosion erschüttert. Gleich darauf folgte die nächste. Steine und Putz fielen von der Decke, und eine schwarze Wolke trieb durch die Flure.
Eléna riss die Zellentür auf und gab mir ihre Kutte. Ich küsste sie, doch Don Eduardo zog mich schon fort.
Dichter Qualm verdüsterte den ohnehin nur von wenigen Kerzen gespenstisch erleuchteten Flur. Ich konnte Don Eduardo kaum sehen, als ich ihm nachstolperte. Um mich herum husteten die Gefangenen und schrien um Hilfe, denn offenbar befürchteten sie, dass ein Feuer ausgebrochen war.
Aus anderen Flügeln des Palastes waren gedämpfte Explosionen zu hören. Anscheinend wollte Mateo
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