Das Blut der Unschuldigen: Thriller
gekommen, was kein Wunder war, weil Omars Planung stets äußerst sorgfältig war. Jetzt wollte er, dass Ali wieder aus der Versenkung auftauchte und sich mit seinem alten Freund Mohammed Amir in Verbindung setzte.
An der Haustür sah er rasch nach links und rechts, um festzustellen, ob ihn jemand beobachtete. Als er kräftig auf die Klingel drückte, hörte er sogleich Schritte, und die Tür wurde geöffnet.
Mohammed sah den Mann an, der vor der Tür stand. Obwohl das Gesicht im Halbschatten nur undeutlich zu sehen war, brauchte er nur eine Sekunde, um seinen alten Schulfreund zu erkennen.
»Ali!«
Gerührt umarmten sie einander. Was hatten sie nicht alles gemeinsam erlebt, seit ihre Familien auf der Suche nach Arbeit Marokko verlassen hatten und nach Spanien gekommen waren! Sie waren zusammen zur Schule gegangen und hatten heimlich auf der Schultoilette ihre erste Zigarette geraucht. Sie hatten einander ihre Träume davon anvertraut, was sie später als Erwachsene tun würden. Schließlich hatten sie gemeinsam angefangen, Drogengeschäfte zu machen und Haschisch zu rauchen, ohne dass ihre Eltern etwas davon ahnten.
Ali hatte zwei Straßen weiter oben gewohnt, doch stand das Haus seiner Eltern seit nahezu drei Jahren leer, weil sie nach Jahrzehnten harter Arbeit mit ihren Ersparnissen in ihr marokkanisches Heimatdorf zurückgekehrt waren. Sein Vater hatte dort einen Herrensalon eingerichtet, den er zusammen mit Alis jüngeren Brüdern betrieb. Die Schwestern waren trotz ihrer Jugend – die ältere war siebzehn und die jüngere fünfzehn Jahre alt – äußerst vorteilhaft verheiratet und hatten inzwischen selbst Familie.
»Komm rein … Ich hab mich nach dir erkundigt, aber keiner konnte mir sagen, was mit dir ist … Woher weißt du überhaupt, dass ich hier bin?«
»Von einem Freund, der nach wie vor ins Palacio Rojo geht. Es heißt, dass du verheiratet bist … Ist ja unglaublich!«
»Ja, mit der Schwester von Hassan al-Jari. Fatima war die Frau meines Vetters Jussuf.«
»Omar hat gesagt, dass Jussuf als Held gestorben ist.«
»Das stimmt. Es ist eine große Ehre, dass mir Hassan seine Schwester anvertraut hat. Jetzt muss ich für zwei Kinder sorgen. Aber komm doch rein. Ich sag meiner Mutter und Fatima, dass sie uns was zu essen machen sollen. Wir müssen miteinander reden.«
»Genau deshalb bin ich gekommen.«
Während sie es sich im Wohnzimmer gemütlich machten und in Kindheitserinnerungen schwelgten, stellten ihnen die Frauen das Abendessen auf den Tisch. Nachdem am Ende der Mahlzeit das Geschirr abgetragen und sie allein waren, legte Ali dem Freund den Grund seines Besuchs dar.
»Über die Sache mit Frankfurt weiß ich Bescheid – Omar hat uns alles erzählt. Ich beglückwünsche dich und freue mich, dass du noch lebst.«
»Es hätte mir nichts ausgemacht zu sterben«, versicherte Mohammed prahlerisch.
»Klar. Mir würde es auch nichts ausmachen.«
»Aber … Omar … Du kennst ihn also persönlich?«
»Ja. Er hat mich gerettet, und jetzt gehöre ich der Gruppe an. Er ist unser Anführer, dem wir alle gehorchen.«
»Erzähl!«
»Ich war im Knast. Die haben mich bei einer Drogenrazzia geschnappt. Im Knast waren noch mehr von unseren Leuten. Einer hat uns allerlei über den Sinn des Lebens und des Todes erzählt und gesagt, wir sollten unsere Zeit nicht verplempern, wo es Wichtigeres gibt, nämlich den Entscheidungskampf zwischen uns Moslems und den Ungläubigen. Siegen könnte unsere Seite nur, wenn wir alle mitmachen.«
»Warum war der Mann da drin?«
»Es soll ein Mitglied unserer Organisation in seinem Haus versteckt haben. Sie haben ihm vorgehalten, dass sein Name
in privaten Adressbüchern von Mudschahedin stand, die man in anderen Ländern festgenommen hatte. Hundesöhne! Aber ich danke Allah dafür, diesen Mann kennengelernt zu haben. Er hat mir die Augen geöffnet, und jetzt kenne ich wie du den Sinn des Lebens.«
Ali berichtete, wie ihm jener Mann eine Anschrift in Granada genannt hatte, wo man ihn nach seiner Entlassung aus der Haft aufnehmen und ihm helfen werde, ein Krieger Allahs zu werden. Als er in Einzelheiten den Anschlag von Tanger schilderte, spürten beide, wie sich die Bande ihrer alten Freundschaft mehr denn je festigten. Offensichtlich hatte das Geschick sie für dieselbe Aufgabe ausersehen.
»Kann ich auch Omar kennenlernen? Hassan hat gesagt, ich soll mit ihm nur Verbindung aufnehmen, wenn er sich bei mir meldet. Das könnte aber jederzeit der Fall
Weitere Kostenlose Bücher