Das Blut des Teufels
dunkle, durchdringende Augen. Beide Ohrläppchen waren durchstochen und trugen jeweils eine goldene Scheibe, in die die gleiche Sonne eingeprägt war, die seinen Stab zierte.
Der Sapa Inka trat bis auf drei Schritte an die drei Knienden heran. Sam neigte respektvoll den Kopf. Es geziemte sich nicht, einem Inkaherrscher ins Gesicht zu starren. Inkaherrscher waren die Kinder der Sonne und wie bei dieser musste man die Augen vor der strahlenden Helligkeit abwenden. Dennoch weigerte sich Sam, mit dem Kopf die Steine des Dorfplatzes zu berühren.
Anscheinend fühlte sich der Inkakönig dadurch nicht beleidigt. Sein Blick war durchdringend, jedoch nicht feindselig. Mit dem Ausdruck brennender Neugier trat er einen weiteren Schritt auf sie zu. Das zuvor von Schatten bedeckte Gesicht erglühte jetzt im hellen Schein einer nahen Fackel, das seine rötlichen Züge kupfergolden färbte.
Maggie schnappte nach Luft.
Auf ihre Reaktion hin zog Sam die Brauen zusammen und wagte jetzt, den Mann offener anzusehen – dann traf es ihn ebenfalls wie ein Schlag. »Mein Gott …«, murmelte er verblüfft. Aus dieser Nähe war die Ähnlichkeit unverkennbar, vor allem, da die Fackel das Gesicht des Königs auch noch in goldenes Licht getaucht hatte. Sie alle hatten diesen Mann schon zuvor gesehen. Er ähnelte frappierend der goldenen Gestalt in den Höhlen, sowohl der, die den Raum mit den Fallen bewachte, als auch der riesigen Statue im Zentrum der Totenstadt.
Der Sapa Inka trat noch einen Schritt näher. Nun war der Fackelschein aus seinem Gesicht verschwunden und er wurde wieder zu einem Mann. Mehrere schweigende Augenblicke lang musterte er sie. Auf dem Platz herrschte Grabesstille. Schließlich hob er seinen Stab und begrüßte sie. »Ich bin Inka Inkarri«, sagte er mit heiserer, gutturaler Stimme auf Englisch. »Willkommen! Möge Inti euch in seinem Licht beschützen.«
Sam blieb weiter auf den Knien. Er war zu benommen, als dass er sich hätte rühren können.
Der König schlug zweimal mit seinem Stab auf den Boden und hob ihn dann hoch in die Luft. Auf dieses Zeichen hin stieg ein gewaltiger Jubel aus hundert Kehlen. Männer und Frauen sprangen auf, die Trommeln dröhnten und Flöten und Tambourine steuerten ihren strahlenden Klang bei.
Der Sapa Inka schenkte dem Tumult keinerlei Beachtung. Er senkte den Stab.
Wie ein Geist tauchte Kamapak aus der tanzenden Menge auf. Auf dem Gesicht des Schamanen strahlte Ehrfurcht und seine Tätowierungen glänzten fast auf der geröteten Haut. »Qoylluppaj Inkan, Inti Yayanchis«, intonierte er, beugte sich leicht aus der Hüfte vor und setzte seine Ansprache fort. Selbst ohne Übersetzung wurde klar, dass Kamapak etwas von diesem König erbat.
Nachdem der Schamane geendet hatte, knurrte der Sapa Inka eine knappe Antwort und winkte Kamapak beiseite. Das Lächeln des Schamanen wurde breiter. Er hatte zweifellos eine geneigte Antwort erhalten und trat zurück. Der König nickte Sams Gruppe ernst zu. Sein Blick blieb einen Moment lang auf Denal hängen; dann fuhr er herum und folgte dem Schamanen durch die dicht gedrängte Menge der Feiernden.
»Vermutlich haben wir die Musterung bestanden«, meinte Sam, der endlich wieder atmen konnte.
»Und durften allesamt abtreten«, fügte Maggie hinzu.
Sam wandte sich an Norman. »Was haben sie gesagt?«
Der Fotograf setzte sich auf die Fersen und kniff die Augen zusammen. »Kamapak wollte allein mit dem König sprechen …«, Norman sah Sam an, »… über uns.«
Sam runzelte die Stirn. »Worüber denn?«
»Über unsere Zukunft hier.«
Das hörte sich in seinen Ohren nicht gut an. Er sah den Schamanen und den König über den Platz auf ein großes, zweistöckiges Bauwerk links zugehen. »Was hältst du von diesem Sapa Inka?«
»Er hat offensichtlich eine gewisse Verbindung zur Außenwelt. Schließlich kann er ein bisschen Englisch. Ist dir sein Gesicht aufgefallen? Er muss ein direkter Nachkomme dieses alten Königs der Statuen sein.«
Sam nickte. »Die Ähnlichkeit überrascht mich nicht. Das ist ein geschlossener Genpool. Keine Außenseiter verwässern das Inkablut.«
»Soll heißen, bis zu unserer Ankunft«, meinte Norman.
Sam achtete nicht auf die Worte des Fotografen. »Aber was ist mit seiner Behauptung, er sei der mythische Inkarri?«
Maggie schüttelte den Kopf.
»Wer ist dieser Inkarri?«, fragte Norman.
Maggie erläuterte kurz die Geschichte des enthaupteten Königs, der, einer Prophezeiung zufolge, auferstehen und den Ruhm der Inka
Weitere Kostenlose Bücher