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Das Blut von Magenza

Das Blut von Magenza

Titel: Das Blut von Magenza Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Platz
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brachte. Es war die langersehnte Antwort von Franz. Bertolf nahm ihn in Empfang, brach das Siegel und las. Dithmar hielt es vor Anspannung kaum aus und rutschte unruhig hin und her.
    Nach den ersten Zeilen hob Bertolf den Kopf. „Wusstest du, dass sie bereits einmal verlobt gewesen war?“
    „Natürlich, mit einem Edelmann, der in einer Schlacht fiel. Das hat sie aber an dem Abend, als wir sie bei Gerhard kennenlernten, erwähnt, wenn du dich erinnerst!“
    „Jetzt, wo du es sagst“, murmelte er und las weiter. „Es gibt aber noch einiges, was mir nicht gefällt. Da, lies selbst.“ Mit ernstem Gesicht reichte er das Schreiben an Dithmar weiter.
    Bertolf legte seinen Kopf leicht in den Nacken und beobachtete aus halbgeschlossenen Lidern das Mienenspiel seines Sohnes. Ihm entging nicht, wie er an zwei Stellen stutzte und die Stirn runzelte. Er kannte dieses Weib wohl doch nicht so gut, wie er gedacht hatte. Dithmar ließ das Schreiben schließlich sinken und wirkte betreten.
    „Du scheinst überrascht zu sein. Sie hat dir wohl verheimlicht, dass ihre Eltern gar nicht ihre leiblichen sind und ihr Bruder nur erfunden ist!“
    „Es ist doch keine Schande, bei Zieheltern aufzuwachsen. Ich verstehe nur nicht, warum sie mir das nicht gesagt hat? Das mit dem Bruder kommt mir aber wirklich seltsam vor. Warum hat sie sich den ausgedacht? “
    „Zum Beispiel, damit sie in der Stadt entsprechend aufgenommen wird.“
    „Das mag sein. Aber in Gerhard hat sie einen mächtigen Fürsprecher, der ihren Ruf schützt. Sie hätte uns gar nichttäuschen müsse, und hätte sie sich eine entsprechende Frau in ihr Haus geholt, wäre alles in Ordnung gewesen.“
    „Genau das wird sie aber nicht gewollt haben. Solange sie allein lebt, kann sie machen, was ihr beliebt und ist niemandem Rechenschaft schuldig. Ich will ja nicht behaupten, dass sie unredliche Dinge tut, aber ihr Verhalten ist mehr als seltsam.“
    Dithmar wollte es zwar nicht zugeben, aber er stimmte insgeheim seinem Vater zu. „Dennoch vertraue ich ihr. Aber ich will mich vergewissern und frage sie selbst.“
    „Hoffentlich hält sie dich nicht zum Narren“, seufzte Bertolf. „Ich hatte gehofft, dass Franz‘ Nachricht meine Ansicht über sie bessert, das hat sie aber nicht getan. Du verstehst bestimmt, dass ich meine Zustimmung erst gebe, wenn all’ meine Zweifel ausgeräumt sind. Und nun lass uns essen. Ich habe Hunger.“
    Dithmar war äußerst schweigsam. Warum war Griseldis nicht ehrlich zu ihm gewesen? Er hätte sie verstanden, wenn sie es ihm gesagt hätte. Jetzt, da er die Wahrheit kannte, tat er sich schwerer, ihr zu glauben. Er beschloss, nachher noch zu ihr zu gehen und ihr von dem Brief zu erzählen. Doch als er eine Stunde später an ihre Tür klopfte, öffnete niemand. Sollte sein Vater am Ende doch recht behalten?

Dienstag, 20. Mai 1096, 25. Iyyar 4856
    Worms
    Die vier Männer ächzten, als sie die Karren mit den Leichen zogen, um die Toten aus dem Stadtkern hinaus auf das Brachgelände zu schaffen, wo Gruben ausgehoben wurden, in denen sie ihre letzte Ruhe fanden. Seit dem Morgengrauen brachten sie die Erschlagenen hierher und jede neue Fuhre drückte ihnen schwerer aufs Gemüt. Sie stellten den Wagen ab und fassten die oberste Leiche an Füßen und Schultern, um sie in das offene Grab zu werfen. Dies war der Moment, in dem Ariel ben Meir aus seiner Ohnmacht erwachte und die Augen aufschlug. Er starrte auf den Mann, der seine Füße hielt und dieser starrte zurück.
    Voller Entsetzen schrie der Totengräber auf und ließ ihn los. „Der hier lebt!“
    Sofort hob man Ariel vom Karren und legte ihn auf den Boden. Benommen setzte er sich auf und schaute sich um. Als er die Leichenberge erblickte, kam die Erinnerung an den gestrigen Tag. Die Trauer überfiel ihn mit ungebremster Wucht. Er kniete sich hin und zerriss seine Kleidung, während er seinen unbändigen Schmerz herausbrüllte. Schließlich stimmte er unter Tränen seine Wehklage an und bewegte dabei seinen Oberkörper vor und zurück.
    Die Männer hatten inzwischen den ersten Schreck überwunden und schauten ihn mit einer Mischung aus Betroffenheit und Hilflosigkeit an. Zwar hatte keiner von ihnen seine Hand gegen die Juden erhoben, aber es hatte sich auch keiner schützend vor sie gestellt. Denn die Gotteskrieger hatten in ihrer fanatischen Raserei so gewütet, dass jeder in seiner Angst nur an die eigene Rettung dachte.
    Sie trauten sich nicht, in Ariels Gegenwart weitereBestattungen

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