Das Blut von Magenza
ab und ließen die Beklemmung Ruthards und seiner Getreuen wachsen. Sie meinten, entferntes Waffengeklirr und die Angstschreie Sterbender zu hören, was sie noch mehr niederdrückte. Keiner wagte, ihn anzusehen oder gar etwas zu sagen, und der Erzbischof gestand sich schließlich die Wahrheit ein. Er war gescheitert! Es würde keine Verhandlungen geben und so war es nur eine Frage der Zeit, bis der Palast eingenommen wurde. So kampferprobt und mutig seine Soldaten auch waren, diesem Ansturm konnten sie auf Dauer nicht standhalten.
Conrad dagegen wollte die Hoffnung nicht aufgeben. Er war nach wie vor der Überzeugung, dass der Erzbischof dem Morden ein Ende bereiten könnte, indem er nurentschlossen genug vor die Pilger trat. Aber der Kämmerer und die Herren des Domkapitels waren anderer Auffassung und vertraten die Ansicht, dass nichts mehr getan werden konnte und die Stadt nur durch ein Wunder zu retten war. Als mit einem Schlag die Gesänge und Trommeln verstummten, konnten sie diese Stille fast nicht ertragen. Durch die dicken Mauern drang kein Laut und das ängstigte sie mehr, als es der Lärm getan hatte.
Conrad fasste sich schließlich ein Herz. „Herr, wollt Ihr es wirklich einfach geschehen lassen? Jetzt wo die Pilger schweigen, hören sie Euch vielleicht zu. Sie vertrauen auf Gott. Macht ihnen deutlich, dass dies nicht sein Wille ist.“
Dem Kämmerer missfiel Conrads Appell. „Du willst, dass dein Bischof sein Schicksal herausfordert, indem er sich unnötig in Gefahr begibt? Er hat sein Möglichstes getan, um die Stadt und ihre Bürger zu schützen. Es waren einige Bewohner, die Mainz verraten haben, indem sie den Leininger einließen. Nun muss jeder für sich selbst sorgen.“
„Aber was ist mit den Juden? Ihr gabt ihnen ein Versprechen und sie taten alles, was ihr von ihnen verlangtet. Wollt Ihr es nun brechen und sie sich selbst überlassen? Sie sind in der Unterzahl und zudem vom langen Fasten geschwächt“, gab Conrad nicht auf.
Ruthard vermied es, dem Mönch in die Augen zu schauen. Er wollte seine Vorwürfe nicht länger anhören, blickte auf seine gefalteten Hände und meinte mit müder Stimme: „Conrad, der Kämmerer hat recht. Ich kann nichts mehr ausrichten. Dort draußen wüten zehntausend Mann, das sind deutlich mehr als Mainz an Bürgern zählt. Durch den Aufruf des Papstes fühlen sie sich legitimiert und wurden zudem durch die gewaltlose Einnahme der Stadt noch in ihrem Glauben gestärkt. Sie werden auf niemanden hören.Es gibt keine Hoffnung mehr.“
„Habt Ihr so wenig Gottvertrauen? Ich werde es jedenfalls nicht hinnehmen und nachsehen, ob ich etwas ausrichten kann“, sagte Conrad und hastete davon.
Der Erzbischof wollte ihn zurückhalten und rief ihm nach: „Ich verbiete dir, mich zu verlassen!“
Doch Conrad ignorierte sein Rufen und lief unbeirrt weiter. „Ein mutiger Mann“, sagte der Hauptmann leise, nachdem sich die Tür hinter ihm schloss.
„Wohl eher ein Narr“, entfuhr es dem Kämmerer.
Nur wenig später öffnete sich das Portal erneut. Ruthard glaubte schon, Conrad sei zurückgekehrt, aber es war ein verletzter Soldat, der das Kirchenschiff entlangwankte. Er wirkte verloren, wie er sich Schritt für Schritt zum Erzbischof vortastete. Blut lief seinen Arm hinunter und hinterließ eine dunkelrote Spur. Quer über seine Wange verlief eine klaffende Wunde, die von einem Messer oder einem kurzen Schwert stammte.
„Herr, sie erstürmen Euren Palast. Wir haben erbittert gekämpft, Seite an Seite mit den Juden. Wir alle gingen bis an die Grenzen unserer Erschöpfung und konnten das Tor noch einige Zeit halten. Fiel einer der Kreuzfahrer, wurde er durch zwei neue ersetzt, sodass wir schließlich aufgeben mussten. Inzwischen sind sie in den Innenhof gelangt und gnadenlos in ihrer Wut. Ich sah, wie ein alter Jude seinem Feind die Kehle bot und freiwillig in den Tod ging. Viele folgen seinem Beispiel. Andere richten ihre Waffen gegen sich selbst. Eltern töten ihre Kinder, Ehegatten einander, Hausherren ihr Gesinde. Auch für die Übrigen gibt es kein Entrinnen. In ihrer Raserei machen die Pilger vor niemandem Halt. Wer die Taufe verweigert, wird gemeuchelt. Frauen, Kinder, Greise, Schwangere, alle werden zu ihrenOpfern. Dann entkleiden und berauben sie die Toten. Das Abschlachten findet kein Ende. Gerade dringen sie in euren Palast ein und setzen dort ihr grausiges Treiben fort. Ich kam, um Euch zu warnen. Ihr solltet Euch in Sicherheit bringen, solange sie noch
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