Das boese Blut der Donna Luna
über ihre Besuche, ihre Kontakte zu »Mani amiche«. Es war alles fein säuberlich vermerkt, Daten, Termine. Auch sehr intime Informationen, wie ein paar gewollte Schwangerschaftsabbrüche von Lena und Samira, und ein Vermerk, der Giuliano erschütterte: Flores war zum Zeitpunkt ihres Verschwindens schwanger gewesen. Wie benommen starrte er auf den Bildschirm. Dann wandte er sich ab, um den anderen nicht zu zeigen, dass er weinte. Schließlich hatte er sich wieder im Griff.
»Woher konnte Don Silvano das alles wissen?«, fragte er und sah Tano an. »Das von Flores wusste noch nicht einmal ich, dabei könnte es mein Kind sein. Wieso hat er all diese Informationen gesammelt? Und hier, was ist das?«
»Es tut mir leid, Dottor Zanni, aber ich muss Sie bitten, den Raum zu verlassen, Sie sind in dieser Sache nicht unbefangen, und diese Informationen waren nicht für Sie bestimmt.«
Ungeachtet seiner Proteste wurde Giuliano höflich vor die Tür gesetzt. Bei ihrer Suche stießen Tano und Marco auf eine weitere Datei mit dem Namen »Verdächtige«, und hier wurde die Sache richtig interessant. Sie enthielt Aufzeichnungen über Gianluca Sonni, Giuliano Zanni und vier andere Mitarbeiter und ehemalige Betreute von »Mani amiche« namens Guido Valli, Maurizio Speroni, Giobatta Boero und Rosario Barbero. Die ersten beiden waren als Minderjährige wegen Vergewaltigung vorbestraft worden, einer hatte eine Beziehung zu Malina gehabt, ein anderer war mit Flores ausgegangen. Also hatte Don Silvano Flores zu den Opfern gezählt. Genaueste Vermerke, Fakten, Treffen, Äußerungen, Beziehungen. Und ein Profil jedes Einzelnen, das Palmieri alle Ehre gemacht hätte. Don Silvano ermittelte auf eigene Faust. Aus Gerechtigkeitssinn? Um »Mani amiche« von einem möglichen Mörder zu befreien? Und wieso hatte er nicht mit der Polizei zusammengearbeitet und ihr seine Informationen zur Verfügung gestellt?
Eine Datei mit Namen »Alibi« und eine weitere namens »Wahrscheinlichkeiten« tauchten auf, jedoch waren beide leer. Gelöscht. Sie fanden auch eine mit dem Namen »Chicco«, deren Inhalt ebenfalls gelöscht war. Tano versuchte, die Daten wiederherzustellten, doch ohne Erfolg. Jemand hatte ganze Arbeit geleistet. Die leeren Files bewiesen, dass der Computer manipuliert worden war.
»Ahnt der gute Mann überhaupt, dass er sein Leben riskiert?«
»Mein lieber Marco, ich will den Teufel nicht an die Wand malen, aber vielleicht ist es schon zu spät ... Derjenige, der diese Dateien gelöscht hat, weiß, dass Don Silvano ihm nachspioniert. Und der Pater ist verschwunden.«
»Und wenn das ein gerissener Trick von Don Silvano wäre, um den Verdacht ... von sich selbst abzulenken? Woher weiß der Kerl so viele intime Einzelheiten über diese armen Frauen? Und wenn der Gottesmann sie allesamt gefickt hätte und eine unsägliche Schuld zu verbergen hätte? Na, was meinen Sie, Dottor Esposito?«
»Ich würde mich nicht wundern, wenn’s so wäre. Wir ermitteln, und da gilt nicht die Unschuldsvermutung, sondern die Schuldvermutung. Wir müssen den Priester so bald wie möglich finden.«
Sie öffneten die Tür und ließen den aufgelösten und verstörten Giuliano herein. Hatte Don Silvano noch andere Adressen? Nein, oder doch, er hatte noch das Haus seiner Großeltern in der Nähe von Casella, hin und wieder machte er mit betreuten Kindern einen Ausflug dorthin oder verbrachte ein paar Wochen Sommerferien dort, aber er selbst sei dort noch nie gewesen. Schön, Adresse her, und den Computer nähmen sie mit. Falls Don Silvano sich melde, solle er ihnen umgehend Bescheid geben. Dann rauschten die beiden davon und ließen ihn mit einem Haufen Zweifel und offener Fragen zurück.
Der klimatisierte Dienstwagen raste die Autobahn Richtung Busalla entlang. Nach der Ausfahrt fuhren sie nach Casella weiter, bogen an der Brücke nach rechts auf eine unbefestigte, abschüssige Straße ein, die am Kiesbett des Flusses entlangführte und von einer Baustelle und einigen geparkten Baufahrzeugen flankiert war. Dann folgten sie der schmalen, kurvigen Straße, die sich durch einen Wald aus teils durch die Hitze schon herbstlich braunen Kastanien, Steineichen und Buchen emporschlängelte. Sie erreichten ein Plateau. Rechts eine schmale, unbefestigte Straße, auf der der Croma nur mühsam vorankam, und schließlich kam ein altes Bauernhaus aus Feldsteinen inmitten einer weiten, ebenen Wiese in Sicht. Das Tageslicht schwand, und der Mond war fast nicht mehr zu
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