Das Böse im Blut: Roman (German Edition)
verstand. So gewährte ihm das Gericht ein Entlassungspapier, und kurz darauf war er unter einem Steinhagel von den Toren der Garnison vertrieben worden.
Nur sechs der Angeklagten bekannten sich schuldig. Die meisten anderen wiesen den Vorwurf der vorsätzlichen Fahnenflucht zurück und behaupteten, auf die eine oder andere Weise gezwungen worden zu sein, zur mexikanischen Seite überzuwechseln. Einige blieben durchgehend stumm. Doch die Anklage führte zwei Saint-Patrick-Gefangene als Zeugen an, einen Engländer und einen Iren, die schon vor dem Krieg in Mexiko gelebt hatten und nie in der amerikanischen Armee gewesen waren. Sie waren bereit, für eine frühzeitige Freilassung aus dem Gefängnis gegen ihre Waffengefährten auszusagen. Nacheinander deuteten sie auf die Angeklagten und sagten aus, diese hätten sie freiwillig die Uniform der mexikanischen Armee anlegen und gegen die Amerikaner Waffen tragen sehen.
Die Berichte enthielten eine alphabetische Liste der siebzig Männer, die zum Tod durch Erhängen verurteilt worden waren. Und dort – zwischen »Klager, John« und »Logenhamer, Henry« – las Edward den Namen seines einzigen wirklichen Bruders in dieser Welt. Und wollte aufheulen.
Die Zeitung brachte auch mehrere hämische Berichte über den Aufschrei der Mexikaner wegen der Todesurteile, die über ihre geliebten San Patricios verhängt worden waren. Zivile und militärische Amtsträger jeden Ranges legten öffentlich Protest ein. Der Erzbischof von Mexiko persönlich verwandte sich für sie bei Winfield Scott, wie auch der britische Außenminister. Dem irischen Anführer der Deserteure, John Riley, der den Amerikanern als der Verabscheuungswürdigste des gesamten abscheulichen Haufens galt, wurde die leidenschaftlichste Verteidigung zuteil. Scott wurde ein Gnadengesuch für ihn übergeben, das von beinahe einem Dutzend »Bürgern der Vereinigten Staaten und Ausländern verschiedener Nationen in der Stadt Mexiko« unterschrieben war. Dazu gehörte folgender Abschnitt:
Wir bitten demütig darum, dass Eure Exzellenz der Oberbefehlshaber der amerikanischen Streitkräfte sich gnädigst gefallen möge, Captain John O’Reilly von der Legion St. Patrick, und allgemein allen Deserteuren aus amerikanischem Dienst, Begnadigung zu gewähren
.
Wir erwähnen Eurer Exzellenz gegenüber vornehmlich O’Reilly, da wir uns bewusst sind, dass sein Leben in größter Gefahr ist; sein Verhalten könnte von Eurer Exzellenz entschuldigt werden in Anbetracht des Schutzes, den er in dieser Stadt den verfolgten und verbannten amerikanischen Staatsbürgern gewährte, indem er einen Befehl, sie gefangen zu nehmen, für nichtig erklärte und nicht ausführte. Wir sind der Überzeugung, dass er ein großmütiges Herz hat und alle seine Fehler eingesteht
.
Als Antwort auf den Appell um Nachsichtigkeit gegenüber den Saint Patricks ließ General Twiggs den
American Star
wissen, dass es schließlich die Generäle Santa Anna, Ampudia und Arista gewesen seien, welche die Deserteure umworben und »zur Fahnenflucht verleitet« hatten, und so seien sie verantwortlich für den Preis, den die »armen Schlucker« jetzt für ihre Vergehen bezahlten.
12 Im Lauf der nächsten Wochen kam Edward schnell wieder zu Kräften. Die Wunde in seiner Seite verheilte vollständig, und er verließ jeden Tag für längere Zeit das Bett und ging in der Station auf und ab, die ersten paar Tage mithilfe einer Krücke, bevor er zu einem Stock wechselte. Doch fühlte er sich wie ein Mann in einem Traum. Die Welt um ihn herum war bestechend klar, schien sich aber langsam zu bewegen, wie unter Wasser. Er verspürte ein unnachgiebiges Grauen. Jedes Mal wenn er die Augen schloss, sah er das Gesicht seines Bruders. Er hatte überhaupt keine Gedanken.
Nun kam Scotts Schiedsspruch zu den Urteilen der Gerichte. Aus verschiedenen Gründen begnadigte er fünf der Verurteilten. In fünfzehn anderen Fällen befand er, dass die Männer vor der offiziellen Kriegserklärung desertiert waren und daher, nach Kriegsrecht, nicht legal hingerichtet werden konnten. Diese fünfzehn würden stattdessen fünfzig Peitschenhiebe auf den bloßen Rücken erhalten und ihnen würde mit einem heißen Eisen ein
D
für »Deserteur« auf die Wange eingebrannt. Daraufhin würden sie so lange inhaftiert bleiben, bis sich die US-Armee aus Mexiko zurückzog, zu welchem Zeitpunkt man ihnen den Schädel rasieren, die Knöpfe ihrer Uniformen abreißen und sie zu den Klängen von
The Rogue’s
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