Das Böse in dir
der Arzt.
»In Schuppen passieren schlimme Dinge«, erwiderte Tee, ohne Orchid anzusehen.
Er brauchte nicht lange auf das Feuerwerk zu warten. Orchid stieß ein leises, erstauntes Aufstöhnen aus. Im nächsten Moment verzerrten sich ihre Züge vor Schmerz und Furcht, und sie brach in Tränen aus. Alle starrten sie an, als hätte sie den Verstand verloren. Doch sie schlug nur bitterlich schluchzend die Hände vors Gesicht. »Daddy hat mich im Schuppen missbraucht«, wiederholte sie ein ums andere Mal. »Er hat es getan. Gerade habe ich mich daran erinnert. Er hat mir wehgetan.«
Der Arzt stand erschrocken auf. »Orchid, versuch, dich zu beruhigen«, sagte er leise. »Reg dich bitte nicht so auf.«
Aber Orchid hörte nicht auf seine Phrasen. »Ja, er hat es getan, ja, er hat es getan. Ich erinnere mich genau. Ich sehe es. Ich sehe seinen großen schwarzen Gürtel und spüre, wie er mich mit den Händen anfasst.« Ihr Weinen steigerte sich zu einem hysterischen Ausbruch, bis der Arzt eine Schwester rufen musste, die sie in ihr Zimmer brachte und ihr ein Beruhigungsmittel gab.
Tee gelang es zwar, keine Miene zu verziehen, doch innerlich lachte er sich halb tot. Er hatte es geschafft, er hatte es wirklich geschafft. Er war in ihr Denken eingedrungen und hatte dort alles durcheinandergebracht. Er war Gott der Allmächtige. Nun stand es fest.
Sechzehn
An dem Tag, an dem ich mit Dr. Boyce Collins verabredet war, traf ich eine halbe Stunde zu früh und allein in der Oak Haven Clinic ein, in der Hoffnung, in seinem Büro herumschnüffeln zu können, bevor er aus seiner Therapiesitzung kam. Bud war zu Hause und schlug sich im Auftrag des Sheriffs mit den Idioten von der Presse herum. Die Reporter stürzten sich wie die Geier auf Cleos grausigen Selbstmord am Damm, forderten Erklärungen und waren inzwischen sogar schon auf einige Informationen über Mikey gestoßen. Zum Glück ahnten sie nichts von dem Mädchen im Ofen, zumindest noch nicht. Unterdessen versuchte ich vergeblich, das Bild von Cleo, wie sie das Feuerzeug ans Benzin hielt, aus meinem Kopf zu vertreiben, aber ich hatte ständig die züngelnden Flammen vor Augen und ihre schrecklichen Schreie im Ohr. Also unternahm ich einen neuen Anlauf und konzentrierte mich auf den Grund meines Besuchs in der Oak Haven Clinic, bewaffnet und bereit zum Kampf. Mary, die krimibegeisterte Empfangsdame, erinnerte sich an mich und vertraute offenbar darauf, dass ich nichts anrühren würde, denn sie schickte mich in Dr. Collins’ Büro und kehrte zu ihrem Kriminalroman zurück. Ein schwerer Fehler. Ich bin nun einmal die geborene Schnüfflerin. Und außerdem auch noch in dieser Kunst ausgebildet.
Und so ging ich ganz allein und vogelfrei den stillen Flur zu besagtem Büro hinunter, wobei ich rasch durch das Türfenster jedes Therapieraums spähte. Mich erinnerten die Szenen an geordnet ablaufende Seminare am College; die jungen Leute saßen an Pulten, tranken Cola oder Wasser und kritzelten in nach Fächern unterteilten Notizbüchern herum, während die Lehrer Vorträge hielten. Es war schwer vorstellbar, dass sie alle emotionale Probleme hatten, denn sie wirkten völlig normal. Doch das hatte Cleo auch getan. Ich schob den Gedanken wieder beiseite und setzte meinen Weg fort.
Collins’ Büro war nicht abgeschlossen, ich kleiner Glückspilz, und außerdem menschenleer. Deshalb trat ich ein, als hätte ich alles Recht der Welt dazu, was sich genau genommen auch so verhielt, und machte die Tür wieder zu. Nach einem Blick auf die Uhr ging ich genüsslich und mit Feuereifer ans Werk. Zuerst suchte ich die Bücherregale nach den obligatorischen versteckten Kameras ab und entdeckte überall im Raum sogar mehrere dieser Geräte. Anscheinend war es inzwischen groß in Mode, private Therapiesitzungen mitzufilmen, auch wenn ich diese Praxis nicht in Bausch und Bogen verdammen wollte. Schließlich vertrat Black ebenfalls die Ansicht, dass diese Filme für die meisten Seelenklempner notwendig und hilfreich waren.
Und so schaute ich mich nach Herzenslust um, wobei ich versuchte, einen harmlosen und wegen der Wartezeit leicht gelangweilten Eindruck zu machen, nur für den Fall, dass irgendwo unbemerkt eine Kamera lief oder dass ich einen einseitigen Spiegel und/oder einen getarnten Bilderrahmen übersehen hatte. Ja, mittlerweile litt ich an einer ausgewachsenen Paranoia und hatte in Sachen Boycie-Boy ein ungutes Gefühl, das sich einfach nicht legen wollte.
An einer Wand stand eine
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