Das Böse in dir
haben sich die beiden denn kennengelernt?«, erkundigte ich mich.
Die Geschwister wechselten wieder einen Blick. Ich schloss aus ihrem Blick, dass sie unsicher waren, ob sie es mir sagen sollten. »Sie waren beide gleichzeitig Patienten in der Oak Haven Clinic. Dort sind sie sich begegnet«, antwortete Mizzi schließlich.
»Warum war Mikey dort?«
»Nachdem Sharon weg ist, hat er sich vollkommen verändert. Und außerdem war er manchmal ohne jeden Grund total niedergeschlagen und fand sein Leben ohne Sharon zum Kotzen. Dann lag er nur im Bett und sagte, dass er sich selbst und alle anderen hasst. Vor allem Sharon. Ständig hat er mit Mom und Dad gestritten, und sie haben beide auf ihm herumgehackt und behauptet, dass etwas mit ihm nicht stimmt. Vor allem Mom.«
»Ja, sie haben rumgemotzt, er hätte einen schlechten Einfluss auf uns andere Kinder, doch das hat nicht gestimmt«, fügte Robert hinzu.
»Was für einen schlechten Einfluss?«
»Sie sagten, er würde Gras rauchen und sich ständig in Schwierigkeiten bringen, und wenn wir weiter mit ihm abhängen würden, würden wir irgendwann auch damit anfangen«, erwiderte Mitzi.
»Aber das tun doch alle manchmal«, ergänzte Robert errötend und zog ein sehr schuldbewusstes Gesicht.
»Nun, Drogen zu nehmen ist grundsätzlich keine gute Idee«, entgegnete ich. »So macht man sich sein Leben kaputt und landet womöglich noch im Gefängnis.«
»Wir fassen so was nicht an, echt nicht.«
Ich hatte da meine Zweifel; schließlich mussten sie mit dieser Mutter leben. »Nun, dann muss ich euch auch nicht festnehmen«, sagte ich jedoch nur.
Sie lachten zwar, aber es klang ziemlich zittrig. Offenbar waren sie nicht sicher, wie sie mich einschätzen sollten. Ich musterte sie, einen nach dem anderen, um festzustellen, was hier in Wirklichkeit gespielt wurde. Die beiden hatten sich bestimmt nicht grundlos diese Mühe gemacht, zögerten nun aber, mit der Sprache herauszurücken. Ich wollte endlich wissen, was los war. Und ich gelte nicht umsonst als gradliniger Mensch. »Okay, und jetzt macht den Mund auf«, meinte ich. »Ihr seid doch sicher die vielen Treppen hochgestiegen, um mir etwas zu erzählen.«
Wieder unschlüssige Blicke. Ich wartete ab. Offenbar wollten sie mir ihr Herz ausschütten, hatten jedoch Angst vor der eigenen Courage.
Endlich ergriff Mitzi das Wort. »Mikey sagte, dass möglicherweise jemand hinter ihm her ist.«
Okay, gedankt sei Gott dem Herrn, jetzt redeten wir Tacheles. »Wann hat er das gesagt?«
»Am letzten Wochenende, als wir in seinem Restaurant am Tisch saßen und Pizza gegessen haben.«
»Was hat er sonst noch gesagt?«
»Dass er das Gefühl hätte, von jemandem beobachtet zu werden. Er hätte auch gesehen, dass ihm jemand folgt.«
»Vermutlich hat er euch keinen Namen oder Grund genannt.«
»Nein, bloß, dass er nicht wirklich jemanden erkannt, sondern es nur gespürt hat. Li war auch dabei und meinte, sie hätte das gleiche Gefühl gehabt. Sie hat ihm zum Schutz ein paar von diesen blauweißen Armbändern geschenkt.«
»Gegen den bösen Blick, richtig?«
»Ja, so hat sie sie genannt. Wissen Sie davon?«
Ich nickte. »Also hat sie sich ziemlich erschreckt, was? Hat es in der Pizzeria einen Einbruch oder etwas Ähnliches gegeben?«
»Nein, glaube ich nicht. Aber er hat ständig gesagt, so viele seiner Freunde aus der Therapiegruppe seien gestorben, und er hätte Angst, als nächster dran zu sein.«
»Sind denn wirklich so viele seiner Freunde in Oak Haven gestorben?«, hakte ich nach.
»Ja. Wissen Sie, es war eine Gruppe für Jugendliche, die halt so drauf waren, nun, dass sie sich umbringen wollen. Einige hatten es sogar schon versucht. Mikey hat manchmal auch solche Sachen gesagt. Meistens zu meiner Mom. Dass er sterben wollte und so. Aber ich glaube nicht, dass er es je getan hätte.«
»Ja, als er noch zu Hause gewohnt hat, hat er einmal oben in seinem Zimmer so etwas erzählt, bis ich zu weinen angefangen habe«, ergänzte Robert. »Später ist er dann in mein Zimmer gekommen und meinte, er würde es nie wirklich tun. Er hätte Mom nur Mist erzählt, und ich solle mir keine Sorgen machen. Dann hat er es mir versprochen. Er hat die Hand auf eine Bibel gelegt und bei Gott geschworen, dass er es nicht tut.«
Wieder stiegen dem Jungen Tränen in die Augen und liefen ihm diesmal die Wangen hinunter. Ich berührte ihn an der Schulter. »Es ist in Ordnung, Robert. Wein nur, wenn du dich dann besser fühlst. Es ist wirklich
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