Das Böse in dir
Mitmenschen üble Dinge trieben. Also konnten wir nicht sagen, was uns in Mikeys altem Lagerhaus erwartete. Ich erschauderte beim bloßen Gedanken. Hoffentlich war es nur jede Menge belastender Beweise, die den Mörder für immer hinter Gitter bringen würden.
Die alte Brücke, einspurig und aus Eisen, führte gleich nach dem Restaurant über den Finley River. Es war zu dunkel, um das Wasser unter uns zu sehen. Doch vermutlich war es hoch und reißend, da es hier vor Kurzem eine Überschwemmung gegeben hatte. Als ich langsam über die Brücke rollte und dabei betete, dass uns kein schnelleres Fahrzeug entgegenkommen würde, hörte ich die Strömung rauschen. In der heutigen Zeit gab es kaum noch einspurige Brücken, und das aus gutem Grund. Ich fragte mich, warum diese hier vom Fortschritt übersehen worden war. »Wie weit ist es noch, Khur-Vay?«
»Nicht mehr weit, glaube ich. Es ist schon lange her, und ich war nur einmal dort. Hoffentlich finde ich es noch. Die Straße, die wir suchen, führt nach links und macht dann eine Kurve zurück zum Fluss. Ich denke, sie endet nach der Brücke einige Kilometer stromaufwärts am Lagerhaus.«
Mittlerweile redete die Bauchtänzerin wie ein Wasserfall. Ich fuhr die einsame Teerstraße entlang durch die Wildnis. Meine Scheinwerfer beleuchteten das dichte, staubige braungrüne Gebüsch und die Baumstämme am Straßenrand. Als mir plötzlich komisch wurde, trat ich auf die Bremse. Ich fühlte mich schwindelig und benommen, so als schalte mein Verstand auf einmal einen Gang zurück. Als ich versuchte, das seltsame Gefühl durch Blinzeln zu vertreiben, rührte es sich nicht von der Stelle. Ich fuhr rechts ran und stellte den Schalthebel auf Parken.
»Was ist los? Warum hältst du an?«, fragte Khur-Vay mit einer Stimme, die wie eine langsam rotierende Windhose in meine Gehörgänge einsickerte.
Ich drehte mich zu ihr um und versuchte, wach zu bleiben und sie nicht doppelt, sondern nur einmal zu sehen. »Mir ist schlecht. Es hat aus heiterem Himmel angefangen.« Meine Hände erschlafften, und meine Muskeln verwandelten sich in Gelee. Schlagartig wurde mir klar, dass es sich nicht nur um einen kleinen Schwindelanfall handelte, sondern um die Wirkung einer Droge. Einer Droge, die Khur-Vay mir verabreicht hatte, vermutlich in der Limonade. Oh, Gott, sie war in dieses Durcheinander verwickelt und hatte mich unter Medikamente gesetzt.
»Washassumirgegeben?«, fragte ich und bemerkte selbst, wie verwaschen meine Sprache klang. Ich schloss die Augen, weil ich sie nicht mehr offen halten konnte, hörte jedoch ihre Stimme.
»Nur ein paar von meinen Schlaftabletten. Ich habe sie in das letzte Glas Limonade getan. Es war nicht genug, um dir zu schaden, aber wahrscheinlich wirst du jetzt eine Weile schlafen. Oh, Gott, es tut mir so leid, Claire, doch ich musste es tun. Er hat mir gedroht und mich dazu gezwungen, ich schwöre.«
Mit Schlaftabletten kannte ich mich aus, insbesondere damit, was geschah, wenn man mehr als eine nahm. Black hatte mir einmal welche verschrieben, um mir über meine Albträume hinwegzuhelfen. Eigentlich hätte ich davon schneller einschlafen sollen, doch sie hatten nicht richtig gewirkt, denn ich hatte trotzdem eine Ewigkeit wach gelegen. Vielleicht würde ich es ja schaffen, dagegen anzukämpfen und fit zu bleiben. Allerdings fühlte ich mich benommen und verwirrt, und außerdem war mir übel. Khur-Vays Stimme entfernte sich immer mehr, während das Medikament durch meinen Blutkreislauf raste. Außerdem ließ meine Konzentrationsfähigkeit drastisch nach, sodass meine Gedanken wie tanzende Schmetterlinge in meinem Kopf herumschwebten. Ich wollte sprechen und sie fragen, wer sie denn dazu gezwungen hatte, doch meine Zunge bewegte sich nicht mehr und fühlte sich an, wie ein dicker, warmer Wurm, der in meinem Mund ruhte. Ich war dabei, das Bewusstsein zu verlieren, so sehr ich mich auch dagegen wehrte. Ich durfte nicht einschlafen. Ich durfte ihr das nicht durchgehen lassen.
Khur-Vay redete immer noch. »Er hat gesagt, er würde sich an meine kleine Tochter Chloe halten, wenn ich ihm nicht helfen würde herauszufinden, was du weißt. Er hätte Leute, die sie aufspüren und umbringen würden, er müsste ihnen nur den richtigen Trigger liefern. So hat er es genannt, Trigger. Er sagte, du würdest ihm zu sehr auf die Pelle rücken. Er wolle nur mit dir reden und erfahren, was du weißt. Danach lässt er dich frei, Claire, ich schwöre. Deshalb habe ich ihn
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