Das Brandhaus - Roman
ansehen. Am Montag legen wir dann wieder mit frischen Kräften los und überführen den Burschen.«
Ihre Mutter war tot.
Irene konnte das zwar verstehen, aber nicht akzeptieren. Vor ihr in dem ordentlich bezogenen Krankenhausbett lag Gerds toter Körper. Auf dem Nachttisch stand eine brennende Kerze in einem schmiedeeisernen Kerzenständer. Daneben hatten die Krankenschwestern eine Bibel und ein Gesangbuch gelegt.
Das Gesicht sah im stillen Schein der Kerze glatt und friedlich aus. Sie wirkte irgendwie verändert. In der Tat sah sie mehrere Jahre jünger aus. Der Tod hatte sie von allen Schmerzen befreit. Es war sehr deutlich, dass die Seele verschwunden und nur noch die Hülle zurückgeblieben war. Das, was Gerd einmal ausgemacht hatte, war nicht mehr da.
Und doch war es vollkommen unbegreiflich, dass sie für immer fort sein würde.
Krister hielt Irenes eine Hand und drückte sie leicht. Katarina hatte ihre andere fest im Griff. Unbewusst umklammerte sie sie. Sie standen am Bett, um ein letztes Mal Abschied zu nehmen. Irene fühlte sich vollkommen leer. Was sollte sie sagen? Was sollte sie tun? Sie spürte, wie die Tränen kamen. Die Konturen ihrer Mutter im Bett verschwammen und wirkten unwirklich.
»Mama. Kleine Mama. Warum musste es nur... so kommen?«, flüsterte Irene.
Die Kerze flackerte, brannte dann aber wieder ruhig.
»Ich glaube... dass Großmutter zufrieden ist. Sie hatte mit
ihrem Leben abgeschlossen. Es machte ihr keinen Spaß mehr. Sie hatte ihr Leben gelebt«, sagte Katarina mit zitternder Stimme.
Sie ließ die Hand ihrer Mutter los und tätschelte die bleiche Wange ihrer Großmutter.
»Schlaf gut, Großmutter. Ich liebe dich, und du fehlst mir. Danke für alles.«
Irene wusste, dass ihre kluge Tochter recht hatte. Gerd hatte weder den Willen noch die Kraft besessen, weiterzukämpfen. Sie waren sich immer sehr nahe gewesen, Gerd und die Zwillinge. Und jetzt war sie nicht mehr bei ihnen.
Krister und sie hatten den ganzen Freitagabend gearbeitet. Auch in Kristers Restaurant war viel zu tun gewesen. Beide waren sie erst kurz nach elf nach Hause in ihr Reihenhaus gekommen.
Irene hatte auf der Kardiologischen Intensivstation angerufen, und man hatte ihr mitgeteilt, das Herzflimmern ihrer Mutter werde medikamentös behandelt. Außerdem erhielte sie Schmerzmittel. Im Augenblick schliefe sie ruhig. Am nächsten Tag könne sie sie besuchen.
Erschöpft waren sie gegen Mitternacht zu Bett gegangen. Bevor sie eingeschlafen war, hatte Irene noch zu Krister gesagt, sie wolle sehr zeitig wieder anrufen und darum bitten, ihre Mutter bereits am Vormittag besuchen zu dürfen.
Dazu war es dann nicht mehr gekommen. Um halb drei hatte das Telefon geklingelt, und man hatte sie in die Klinik bestellt.
Ein großes Blutgerinnsel hatte sich in der flimmernden linken Herzkammer gebildet. Dieses Blutgerinnsel war dann durch die große Arterie ins Gehirn gelangt. Alles war sehr schnell gegangen. Kurz nachdem die Klinik bei Irene und Krister angerufen hatte, hatten diese Katarina verständigt.
Sie waren alle nicht mehr rechtzeitig gekommen.
Irene wusste, dass sie nichts mehr hätten tun können. Das Blutgerinnsel war ungewöhnlich groß gewesen und ihre Mutter ohnehin schon geschwächt. Trotzdem hatte Irene Schuldgefühle.
Und so irrational sie auch waren, sie konnte sich trotzdem nicht von ihnen befreien.
Sie war nicht bei ihrer Mutter gewesen, als der Tod gekommen war.
Irene rief Tommy am Sonntag an und erzählte ihm vom Tod ihrer Mutter. Er hatte Gerd gekannt und sprach ihr sein Beileid aus. Außerdem zeigte er volles Verständnis dafür, dass sie unter diesen Umständen für den Bericht über die Vorfälle im Rya Skog im Moment keinen Kopf hatte. Irene versprach ihm aber, ihn bis spätestens Mittwoch fertigzustellen.
Am Montag fuhr Irene wie immer zur Arbeit. Allein der Gedanke, zu Hause zu bleiben und über den Tod ihrer Mutter zu grübeln, erfüllte sie mit Panik.
Es war kühl und klar, einer der ersten richtig frischen Herbsttage. Bald würden weitere kommen. Solche Tage hatte Sammie geliebt. Dann war er immer schon beim Morgenspaziergang richtig übermütig gewesen, obwohl er sonst zu früher Stunde stets schläfrig war, außer wenn sehr viel Schnee lag. Schnee hatte er geliebt. Jetzt lebte er nicht mehr, und das bedeutete, dass sich in Göteborg niemand mehr auf den Herbst und Winter freute. Ich werde langsam alt, dachte Irene, alle, die mir nahestehen, altern und sterben.
Am Vormittag wollte
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