Das Buch der Illusionen
lässt, was die Zukunft für ihn bereithält. Mit diesem Lächeln lässt er sich von neuem auf die Welt kommen, aber er ist jetzt nicht mehr derselbe, nicht mehr der Hector Mann, der uns das vergangene Jahr hindurch unterhalten hat. Wir sehen ihn in einen Menschen verwandelt, den wir nicht wieder erkennen, und ehe wir zu erfassen vermögen, wer dieser neue Hector sein könnte, ist er weg. Ein Kreis schließt sich um sein Gesicht, Schwärze verschluckt ihn. Und gleich darauf erscheint, zum ersten und einzigen Mal in seinen Filmen, das Wort ENDE auf der Leinwand, und das ist das Letzte, was man jemals von ihm gesehen hat.
3
Ich schrieb das Buch in weniger als neun Monaten. Das Manuskript belief sich auf über dreihundert getippte Seiten, und um jede einzelne dieser Seiten musste ich kämpfen. Dass ich überhaupt fertig wurde, lag nur daran, dass ich nichts anderes tat. Ich arbeitete sieben Tage die Woche, saß täglich zehn bis zwölf Stunden am Schreibtisch, und abgesehen von kleinen Ausflügen in die Montague Street, wo ich mich mit Lebensmitteln und Papier, Tinte und Farbbändern versorgte, verließ ich die Wohnung so gut wie nie. Ich hatte kein Telefon, kein Radio, keinen Fernseher, keinerlei Kontakt zu Menschen. Einmal im April und einmal im August fuhr ich mit der U-Bahn nach Manhattan, um in der Bibliothek etwas nachzuschlagen, ansonsten aber bewegte ich mich nicht aus Brooklyn heraus. Doch war ich auch nicht wirklich in Brooklyn. Ich war nur in dem Buch, und das Buch war in meinem Kopf, und solange ich in meinem Kopf blieb, konnte ich das Buch weiterschreiben. Ich lebte wie in einer Gummizelle, doch von allen Leben, die ich damals hätte leben können, war dies das einzige, das mir sinnvoll erschien. Ich war nicht fähig, mich in der Welt zu bewegen, und ich wusste, die Welt würde mich erdrücken, wenn ich mich dort wieder hineinwagte, bevor ich mit dem Buch fertig war. Also verkroch ich mich in dieser kleinen Wohnung und verbrachte die Zeit damit, über Hector Mann zu schreiben. Die Arbeit ging langsam voran und mochte sinnlos sein, aber sie verlangte über neun Monate hin meine ganze Aufmerksamkeit, und da sie mich davon abhielt, an irgendetwas anderes zu denken, habe ich ihr wahrscheinlich zu verdanken, dass ich nicht wahnsinnig geworden bin.
Ende April schrieb ich an Smits und bat ihn, meinen Urlaub über das Herbstsemester hinaus zu verlängern. Ich sei mir immer noch unschlüssig, was meine langfristigen Pläne betreffe, schrieb ich, aber falls es in den nächsten Monaten nicht zu dramatischen Veränderungen käme, würde ich meine Lehrtätigkeit vermutlich aufgeben - vielleicht nicht endgültig, aber doch für längere Zeit. Ich hoffe, er könne mir verzeihen. Es sei nicht so, dass ich das Interesse verloren hätte. Ich sei mir bloß nicht sicher, ob meine Beine mich tragen würden, wenn ich vor ein Auditorium treten und zu den Studenten sprechen müsste.
Allmählich gewöhnte ich mich an ein Leben ohne Helen und die Jungen, aber das hieß nicht, dass ich irgendwelche Fortschritte gemacht hatte. Ich wusste nicht, wer ich war, ich wusste nicht, was ich wollte, und bis ich einen Weg gefunden hätte, wieder mit anderen Leuten zusammenzuleben, würde ich auf der Existenzstufe eines halben Menschen stehen bleiben. Während ich das Buch schrieb, habe ich mich bewusst davon abgehalten, über die Zukunft nachzudenken. Ein vernünftiger Plan wäre zum Beispiel gewesen, in New York zu bleiben, die Wohnung, die ich gemietet hatte, mit Möbeln auszustatten und dort ein neues Leben anzufangen, aber als es dann so weit war und ich den nächsten Schritt tun müsste, entschied ich mich anders und kehrte nach Vermont zurück. Ich kämpfte mit der Schlussrevision des Manuskripts und fing gerade an, die endgültige Fassung abzutippen, um sie dann einem Verlag zu schicken, als mir plötzlich der Gedanke kam, dass New York und das Buch eins seien, und wenn das Buch fertig wäre, sollte ich New York verlassen und anderswo hingehen. Vermont war gewiss die schlechteste Wahl, die ich hätte treffen können, aber die Gegend war mir vertraut, und ich wusste, wenn ich dorthin zurückginge, wäre ich Helen wieder nahe und könnte wieder die Luft atmen, die wir, als sie noch lebte, zusammen geatmet hatten. Die Vorstellung hatte etwas Tröstliches. In das alte Haus in Hampton konnte ich nicht zurück, aber es gab andere Häuser in anderen Städten, und solange ich in der Gegend blieb, konnte ich mein verrücktes,
Weitere Kostenlose Bücher