Das Buch der Schatten: Roman (German Edition)
grinsen.
„Hätte schlimmer sein können“, gab er gepreßt zurück. Wankend machte er einige Schritte, blieb stehen, blickte auf seine Beine, an denen nur noch verkohlte Fetzen hingen, blickte dann auf Eduard, der ihm seinen Mantel entgegenstreckte. Cloud schüttelte seinen Kopf. Die Schmerzen an seinen Beinen wurden immer stärker. Wieder machte er einen Schritt, Eduard entgegen. Seine Beine versagten. Eduard konnte ihn gerade noch mit den Armen auffangen. Sachte schleppte er ihn an den Fahrbahnrand, weit von dem tosenden Feuer entfernt. Um für Linderung zu sorgen, benötigte er Wasser. Eduards Blicke wanderten von dem brennenden Wrack auf das Fahrzeug des Sheriffs. Wie durch ein Wunder war es von der Explosion verschont geblieben. Der Körper neben dem Wagen gab nur noch einen verkohlten Anblick von sich. Eduard versuchte sich mit dem Gedanken zu trösten, daß es sich doch um dieses Geschöpf gehandelt hatte und dessen Treiben nun endlich ein Ende nimmt.
„Hilfe! Hilfe!“ vernahm er plötzlich entfernte Schreie. Sie mußten aus dem Inneren des Internates herrühren. Eduard horchte auf.
„Hilfe“, ertönte es von neuem. Sorgfältig deckte er Cloud mit dessen Mantel zu.
„Hilfe“, erscholl es zum dritten Mal. Eduard mußte an den Sheriff denken, den er eigentlich für tot gehalten hatte. Oder es war der alte Mann, Jeremies Vater. Eilig machte er sich nun auf den Weg in das Innere des Internates. Das Feuer in der Kirche hatte er vollkommen vergessen. Die gesamte Kathedrale stand in hellen Flammen. Teile der Fassaden brachen herab und verursachten leichte Erschütterungen. Nun wußte Eduard, woher das Beben stammte.
„Ich bin hier“, hörte er auf einmal sehr deutlich eine Stimme. Nicht weit entfernt von der Kirche, dicht neben Clouds ehemaligem Klassenzimmer, sah er jemanden sitzend an einem Baum lehnen. Wenn das Feuer auf die Äste übergreift, dann wäre es um ihn geschehen. Eduard wollte daher keine Zeit verschwenden. Nach wenigen Metern schon erkannte er auch gleich die Uniform des Sheriffs.
„Dem Himmel sei Dank“, atmete Wilson auf, als Eduard sich zu ihm niederkniete. „Dachte schon, nun wäre alles vorbei.“
„Ich habe nicht damit gerechnet, Sie jemals wiederzusehen“, entgegnete Eduard. Wilson hielt sich ein Taschentuch gegen die Schulter gepreßt. Es war von Blut durchtränkt.
„Helfen Sie mir aufstehen“, forderte er Eduard auf. „Wir müssen von hier verschwinden, bevor dieses – Ekel wiederkommt.“
Eduard verkniff es sich, dem Sheriff gegenüber Näheres darüber zu erwähnen.
4. Kapitel
V ollmond
Cloud, mein Liebling, Cloud. Kannst du mich sehen? Kannst du mich hören? Ich bin ganz in deiner Nähe, Cloud. Ganz dicht bei dir. Ich warte auf dich, mein Liebling. Ich warte auf dich. Ich warte, so lange, bis du kommst, zu mir, nach Jerajisa. Hier ist alles anders, schöner, viel schöner. Bitte laß mich nicht zu lange warten, Cloud. Bitte, ich liebe dich doch so sehr. Ich liebe dich, ich warte auf dich. Bis bald, Cloud. Bis bald, in Jerajisa.
„Meni, Meni, nein, nein, nein, Meni. Du darfst nicht tot sein, Meni, bitte nicht, – NEIN! NEIN!“
Dr. Brain betrat eilig das Zimmer. Von weitem hatte er Clouds Schreie vernommen. Unruhig wälzte Cloud sich im Bett hin und her. Sachte versuchte Dr. Brain seine Augenlider zu öffnen. Im selben Moment betrat auch Eduard das Krankenzimmer. Gefolgt von der Schwester, die ihn vergebens davon abzuhalten versuchte.
„Ist er wieder bei Bewußtsein?“ fragte Eduard aufgeregt. Dr. Brain wandte sich nach ihm um, nachdem er Clouds Augen untersucht hatte.
„Wer ist Meni?“ stellte er ihm eine Gegenfrage.
„Meni? – Seine Frau“, antwortete Eduard etwas verwundert.
„Sie haben noch nicht versucht, seine Frau zu erreichen?“ Vorwurfsvoll musterte er Eduard über seine Brille hinweg.
„Versucht schon“, erwiderte Eduard. „Es geht niemand ans Telefon.“
„In den letzten Tagen war das Telefonnetz in Mountain-City unterbrochen“, sprach Brain zu sich selbst. „Vielleicht hat es damit etwas zu tun.“
„Meni“, ertönte auf einmal Clouds Stimme. Eduard drückte sich an Dr. Brain vorbei an das Krankenbett. Die Schwester wollte ihn daran hindern, doch Brain wehrte sie durch eine kurze Handbewegung ab.
„Dumpkin, mein Freund“, flüsterte Eduard.
„Meni, Larsen hat ein Messer, Meni. Er will dich töten. Er will dein Leben, Meni. Dein Leben ist in Gefahr. In Gefahr. Unser Sohn, Meni, unser Sohn ist böse – böse
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