Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Buch der Sünden

Das Buch der Sünden

Titel: Das Buch der Sünden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Axel S. Meyer
Vom Netzwerk:
Seite.
    Unaufhaltsam näherten sich die Dänenschiffe dem Strand, auf dem einige Fischerboote lagen. Zwischen den Kähnen hockte ein grauhaariger Mann auf einem Schemel und flickte im Dämmerlicht ein Netz. Er war tief in seine Arbeit versunken. Erst als die Drachenschiffe vor dem Ufer auftauchten und die Ruderschläge deutlich zu hören waren, schaute der Mann irritiert zum Wasser. Es dauerte nur einen Herzschlag, bis er die Gefahr erkannte. Sofort ließ er das Netz fallen, stieß beim Aufspringen den Schemel um, verhedderte sich mit einem Fuß in den Maschen, stolperte, fiel hin, rappelte sich wieder auf und rannte schreiend auf die Siedlung zu.
    In dem Augenblick bohrten sich die Schiffsrümpfe tief in den weichen Sandstrand. Die Wucht des Aufpralls hätte Odo beinahe über Bord gerissen, hätte er sich nicht an dem dämonisch grinsenden Drachenkopf festgehalten.
    Die Dänen ließen die Ruder los und griffen nach ihren Waffen. Dann sprangen sie ins Wasser und hasteten an Land. Hundert Krieger liefen zum südlichen Ende der Siedlung, um den Bewohnern den einzigen Fluchtweg über die Brücke abzuschneiden. Die anderen hundert Männer nahmen Kurs auf die Siedlung. Die Luft war erfüllt von Geschrei und vom Klappern der Waffen.
    Odo blieb mit Žiliška und der Sklavin auf dem Schiff, bis alle Dänen von Bord gegangen waren. Dann nahm er seinen Beutel und befahl den beiden Frauen, ihm zu folgen. Als sie sich der Siedlung näherten, drangen die ersten Schreie an Odos Ohren. Die Dänen stürmten in jede Hütte und jagten die zu Tode verängstigten Bewohner auf die Gassen. Von dort aus wurden sie auf den Strand getrieben, wo man die Gefangenen versammelte. Weinende Kinder klammerten sich an ihre Mütter; Männersignalisierten mit erhobenen Händen, dass sie sich kampflos ergaben.
    Odo beobachtete zufrieden, wie die Menge der Gefangenen rasch anwuchs.
    Žiliška hatte unterdessen ihren Haarknoten geöffnet. Die hellen Strähnen fielen über ihren Rücken wie ein Wasserfall. Ihr Gesicht war versteinert, ihr Blick eiskalt und starr. Aber ihre Augen schienen zu flackern: Es war das Feuer der Rache.
    Odo hatte sie niemals gefragt, warum sie ihr Volk verriet und was der Anlass für ihren Hass war. Aber sie hatte sicher ihren Grund dafür.
    Nach einer Weile kam Ottar zu ihnen. «Es ist alles so abgelaufen, wie du angeordnet hast. Niemand konnte fliehen. Alle Menschen, die in der Siedlung waren, sind jetzt am Strand. Willst du nun gleich nach dem Mann suchen?»
    Odo schüttelte den Kopf. Er war überzeugt, dass er den Dämon längst erkannt hätte, wenn dieser unter den Gefangenen gewesen wäre.
    «Wir gehen zum Langhaus.» Er wandte sich nach Norden, wo sich der Wachturm über den Dächern Ralsviks erhob. «Habt ihr das Anwesen umstellt?»
    «Ich habe zwanzig Männer hingeschickt», bestätigte Ottar.
    Odo setzte sich in Bewegung. Er ließ Žiliška den Vortritt, damit sie ihn durch den Ort führen konnte. Die Sklavin und Ottar folgten ihnen durch die menschenleeren Gassen.
    Mit einem Mal hörten sie lautes Geschrei.
    «Die Krieger haben offenbar nicht gründlich gearbeitet», sagte Odo zu Ottar.
    Der Schiffsführer zuckte mit den Schultern. «Vielleicht haben sie ein paar Leute übersehen   …»
    «Das darf nicht geschehen», herrschte Odo ihn an. Es mussten alle Bewohner versammelt werden, falls der Dämon sich doch auf irgendeine Weise getarnt haben sollte. Odo durfte nicht das geringste Risiko eingehen. Notfalls, so hatte er sich vorgenommen, würde man jeden einzelnen Mann erschlagen, damit der Dämon nicht entwischen konnte.
    Das Geschrei wurde immer lauter, und Odos Herz setzte einen Schlag aus, als er plötzlich glaubte, Worte in seiner fränkischen Muttersprache zu vernehmen. Aber – das war unmöglich! Dennoch hatte die Neugier ihn gepackt, und obwohl er eigentlich keine Zeit verlieren durfte, wollte er der Sache auf den Grund gehen und folgte dem Geschrei.
    Bald darauf kamen sie zu einer kleinen Hütte, die, obwohl es nicht viel mehr als ein Stallgebäude zu sein schien, einen stabilen, gutausgebauten Eindruck machte. In der geöffneten Tür stand ein zerbrechlich wirkender Alter. Er stritt sich mit einigen Dänen, die ihn mit vorgehaltenen Schwertern dazu zwingen wollten, ihnen zu folgen. Doch der Alte weigerte sich beharrlich.
    Odo trat dichter heran. Als er sich der Hütte auf wenige Schritte genähert hatte, blieb er so abrupt stehen, dass Ottar auf ihn prallte.
    Allmächtiger, dachte Odo.
    Vor der Hütte erhob

Weitere Kostenlose Bücher