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Das Buch der Sünden

Das Buch der Sünden

Titel: Das Buch der Sünden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Axel S. Meyer
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Tränen in ihre Augen. «Aber dann wird Sif   …»
    Sie verstummte. Auf dem Gang näherte sich jemand.
    «Seid ihr fertig?», fragte jemand.
    Helgi erstarrte. Er hatte Ingvars Stimme wiedererkannt.
    Ohne sich umzudrehen, antwortete Helgi mit verstellter Stimme: «Wir sind noch nicht so weit.»
    Ingvar rief in den Gang: «Hier hinten ist auch besetzt.»
    Da sprang Liska plötzlich auf. Hastig zog sie sich an und rief: «Fertig!»
    «Nun doch?», fragte Ingvar. Er war auf dem Gang stehen geblieben, um jemandem den Vortritt in die Kammer zu lassen.
    Helgi hockte noch immer wie erstarrt auf dem Boden. In seinem Blickfeld tauchte der geschminkte junge Mannauf. Swarim? Was wollte der hier? War nicht eben noch Ingvar   …? Ingvar und Swarim? Bei Odin!
    Helgi sprang auf. Er wollte mit abgewandtem Gesicht an Ingvar vorbeistürmen und hoffte, dass dieser ihn in dem schwachen Licht nicht erkennen würde. Doch als Helgi herumwirbelte, stieß er mit Liska zusammen. Sie kamen ins Straucheln und fielen hin. Sofort versuchte Helgi, sich von ihr freizumachen.
    Da rief Ingvar entsetzt: «Helgi? Was   …?»
    Helgi stieß ihn zur Seite und rannte an ihm vorbei. Niemals wieder würde er Ingvar in die Augen schauen können.
    Niemals!
     
    Helgi rannte mit voller Wucht in die ausgelassen feiernde Menschenmenge.
    Blindwütig zerrte er umschlungene Leiber auseinander, um sich einen Weg ins Freie zu bahnen. Als Helgi die Hälfte des Raums durchquert hatte, erstarb plötzlich die Musik.
    Irgendwo kreischte Sif: «Er will nicht bezahlen! Haltet ihn auf!»
    Ein kräftiger Mann versperrte Helgi den Weg. Er ballte die Fäuste und grinste dümmlich. Offensichtlich wollte er Sif imponieren. Vielleicht freute er sich auch einfach auf eine Schlägerei.
    Helgi zögerte keinen Augenblick. Mit einer blitzschnellen Bewegung rammte er dem Mann seine Rechte ins Gesicht. Der Getroffene taumelte, dann stürzte er rücklings zu Boden, wobei er etliche Leute mit sich riss.
    Helgi stürmte aus dem Haus. Ins Freie.
    Draußen hatte man von dem Tumult noch nichts mitbekommen.Der Stör war angerichtet. Um den Spieß herum hatte sich eine Menschentraube gebildet. Man ließ sich saftige, fetttriefende Fleischstücke aus den Flanken des Tiers schneiden.
    Dann platzte Sif aus der Tür. «Haltet den Scheißkerl auf!» Das fette Weib rannte erstaunlich schnell hinter Helgi her.
    Einige Männer begannen zu lachen. Der Anblick der aufgebrachten Sif belustigte sie. Niemand kam ihr zu Hilfe. Helgi sprang in den Wald. Wo war der Pfad? Da! Er rannte davon, so schnell er konnte. Immer wieder stolperte er in der Dunkelheit über Wurzeln, schlug sich die Knie auf, stieß gegen Baumstämme. Dennoch gelang es ihm, den Abstand zu vergrößern. Sifs keifende Laute wurden leiser.
    Helgi wähnte sich bereits in Sicherheit, als er plötzlich mit voller Wucht gegen ein Hindernis prallte. Jemand hatte ihm den Weg versperrt. Helgi strauchelte und fiel auf den Hintern. Er schaute zu der Gestalt auf, die ihn zu Fall gebracht hatte. Sie trug einen schwarzen Umhang.
    Im Hintergrund war Sifs Stimme zu hören. Sie kam näher. Helgi sprang auf. Die schwarze Gestalt trat zur Seite. Helgi rannte an ihr vorbei.
    Hinter ihm ertönte ein Lachen.

19.
    Die polierte Oberfläche der Holzpuppe schmiegte sich in ihre Hand.
    Es war eine hervorragende Arbeit. Eine daumenlange Figur mit ausgeprägt weiblichen Formen. Ein breites Becken,üppige Brüste. Der dunkelhaarige junge Mann hatte sie auf dem Fensterbrett zurückgelassen, und sie hatte sie genommen.
    Rúna wälzte sich auf die andere Seite. Die Puppe versteckte sie in ihrer Rechten. Niemand hatte die Figur bemerkt. Die anderen Sklaven waren abgelenkt gewesen, als sie das tote Mädchen betrauerten, das erst vor wenigen Wochen nach Haithabu gekommen war. Es war den Strapazen und dem Dreck nicht gewachsen gewesen, wie so viele andere auch. Sklaven kamen und gingen. Niemand von ihnen verließ diese Stadt in Freiheit. Der einzige Ausweg führte in den Tod.
    Der Tod.
    Häufig hatte sie an ihn gedacht in den vergangenen Monaten. Sie hatte ihn herbeigesehnt. Allem ein Ende machen. Ruhe finden und Frieden, ja Frieden.
    In den ersten Tagen und Wochen, nachdem man ihr Dorf überfallen und sie verschleppt hatte, hatte der Gedanke an Flucht ihr Denken beherrscht. Sie hatte auf einen günstigen Moment gelauert. Doch der war nicht gekommen. Damals nicht, als man ihre Mutter und ihren Vater getötet hatte. Auch nicht, nachdem man sie auf ein Schiff verschleppt

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