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Das Buch der Sünden

Das Buch der Sünden

Titel: Das Buch der Sünden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Axel S. Meyer
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Schmiedehammer demonstrativ in der Hand. Tatendurstig sah er aus, der schmächtige Mann.
    «Was ist denn los?» Helgi rieb sich verschlafen die Augen.
    «Was los ist? Die Sonne ist längst aufgegangen. Die Arbeit ruft. Wir haben jede Menge zu tun. Heb deinen Hintern aus den Fellen! Ich erwarte dich in der Werkstatt.»
    Die Tür zur Schmiede knallte hinter Einar zu.
    Helgi schlurfte in die Küche. Gullweig hockte an der Kornmühle. Als sie ihren Sohn bemerkte, schlug sie die Hände vors Gesicht.
    «Was ist denn mit dir geschehen?»
    Helgi schaute an seiner Hose herunter. Sie war verdreckt, das Leinen an mehreren Stellen eingerissen.
    «Bin hingefallen», murmelte er.
    Gullweig schüttelte vorwurfsvoll den Kopf. «Du musst besser auf dich achtgeben. Wir haben kein Geld für neues Leinen.»
    Helgi verzog das Gesicht. Geld, Geld, Geld. Alles drehte sich nur noch um das Geld für Essen oder Kleidung. Dabei brauchte er viel nötiger welches, um die Sklavin freizukaufen.
    «Zieh dich aus», sagte Gullweig. «Ich werde dir eine Hose von Einar heraussuchen. So kannst du unmöglich unter die Leute gehen.»
    «Ich komme vor lauter Arbeit doch gar nicht mehr aus dem Haus. Wozu brauche ich eine neue Hose?»
    Gullweig warf ihm einen strafenden Blick zu. «Diese Arbeit, mein Sohn, ist unser Lebensunterhalt.»
    «Ja, ja», maulte Helgi und schlüpfte aus der Hose. Seine Beine waren mit blauen Flecken übersät.
    «Wo hast du dich nur herumgetrieben?», fragte Gullweig. «Ich habe dich gehört, als du zurückgekommen bist. Es war sehr spät.»
    «Ich   … ich war im Wald.»
    Gullweigs Augen weiteten sich. «Doch nicht etwa in dem Wald an der Straße nach Hygelac?»
    Helgi war überrascht. Wie war sie denn auf diesen Gedanken gekommen?
    «Nein», log er, «auf der Hochburg. Ich bin spazieren gegangen und hab mich verlaufen.»
    Gullweig tippte sich an die Stirn. «Niemand geht mitten in der Nacht spazieren.»
    Dann sagte sie ernst: «Man hat im Wald eine Leiche gefunden. Ich habe es vorhin von Bera erfahren.»
    Bera war die Frau eines Glasperlenmachers aus der Nachbarschaft, und Bera wusste alles. Vor ihr konnte man nichts verheimlichen. Sie war noch schlimmer als Gullweig.
    «Die ganze Stadt ist in heller Aufregung», fuhr sie fort. «Das ist ja auch kein Wunder, nachdem neulich der tote Mann in Yggdrasils Ästen hing.»
    Helgis Gedanken überschlugen sich. Eine Leiche beim Hurenhaus? Das wäre dann bereits das vierte Opfer – und er selbst war ja gestern im Wald gewesen.
    «Wer ist der Tote?», wollte er wissen.
    «Nicht
der
Tote», erwiderte Gullweig. «Es ist eine Frau. Erinnerst du dich an die Geschichten von Hwergelmir, die ich dir früher erzählt habe? Dort, wo der Totendrache Nidhöggr, der Blutsauger, haust?»
    Helgi stockte der Atem.
    «Ich habe dir damals diese Geschichten erzählt, damit du dich von dem Ort fernhältst. Das ist nichts für kleine Jungen   …»
    «…   wer ist denn nun die Tote?», warf Helgi ein.
    «Ihr Name lautet Sif. Sie ist eine
púta,
eine Hure, der das Badehaus gehört. Heute früh hat man ihre Leiche entdeckt. Sie soll schrecklich zugerichtet worden sein. Bera sagt, man habe ihr die Augen ausgestochen und ihre Brüste abgeschnitten und   …» Gullweig schluckte. «…   und in ihrem Mund steckte ein Fisch – ein Aal.»
    Ein Aal? Helgi konnte kaum glauben, was seine Mutter erzählte. «Weiß man, wer sie getötet hat?»
    «Bera meint, dass es der Wolf gewesen sei, der Fenriswolf. Sie glaubt, er habe seine Fesseln zerrissen, um Odinzu verschlingen. Denn das Weltende,
ragnarök,
steht bevor. So heißt es in den alten Geschichten, in der Weissagung der Seherin: Von Fenrirs Geschlecht war eines das schlimmste: des Mondes Mörder übermenschliche Gestalt. Ihn mästet das Mark gefällter Männer, der Seligen Saal besudelt das Blut. Schwarz wird die Sonne in kommenden Sommern; alle Wetter wüten – wisst ihr noch mehr?»
    Gullweig holte kurz Luft. «Das bedeutet, der Weltuntergang ist nah. Das sagen die Leute. Und sie glauben, dass die Götter uns zürnen, weil Hovis Kriegszug nach Rom unter einem schlechten Zeichen steht   …»
    Einar trat in die Küche. «Was redest du da, Frau? Natürlich wird Hovi die Schlacht gewinnen. Hast du vergessen, wer die Waffen für diesen Krieg schmiedet? Ich, dein Mann. Der Schmied Einar! Zusammen mit deinem Sohn – wenn er endlich seinen Hintern in die Werkstatt bewegen würde.»
    Mit einem tiefen Seufzer wandte sich Gullweig der Kornmühle zu.
    Helgi folgte

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