Das Buch der Sünden
Name?»
Sie schüttelte den Kopf. «Das … ich kann das nicht sagen. Mein Name gehört nicht hierher in diese Stadt, wo ich so viel Schreckliches erlebt habe.»
Dann schwiegen sie eine Weile.
Aus der Küche war das Schaben des Mühlsteins zu hören, Holzschalen klapperten. Gullweig hatte sich endlich wieder der Hausarbeit angenommen.
Die Sklavin rutschte vom Lager. Beim Schlafen trug sie eine alte Baumwolltunika von Gullweig, die ihr jedoch ein gutes Stück zu klein war. Als Rúna sich entkleidete, drehte sie dem Jungen den Rücken zu.
Helgi stöhnte, als er die Narben entdeckte. «Hat
er
dir das angetan?»
Sie nickte. Auch wenn sie ihren Rücken niemals betrachtet hatte, konnte sie sich vorstellen, dass die Narben und die noch nicht verheilten Wunden schrecklich aussehen mussten.
Helgi trat hinter sie. Sie spürte seine Finger auf ihrer Haut. Die Berührung verunsicherte sie.
«Hat der verfluchte Kryppa dich ausgepeitscht?»
Sie rührte sich nicht.
«Ich werde Gullweig bitten, dass sie deine Wunden behandelt», sagte er. «Sie kennt sich mit Heilkräutern aus.»
Die Sklavin zitterte. Rasch schlüpfte sie in Hemd und Hose, die Helgi ihr von seinem Vater gegeben hatte. Der alte Mann hatte etwa ihre Größe gehabt.
Helgi berührte sie an der Schulter. Sie drehte sich um und schaute zu ihm auf.
«Bitte sag mir, wie du heißt», forderte er sie auf.
Sie senkte den Blick. Sie hatte sich geschworen, dass ihr Name erst wieder über ihre Lippen kommen würde, wenn sie zu ihrem Volk zurückkehrte.
Helgi drang weiter auf sie ein: «Verrat ihn mir. Ich weiß überhaupt nicht, wie ich dich anreden soll.»
Sie hob den Kopf und schaute ihm fest in die Augen. «Nenn mich Sklavin. Denn das bin ich noch immer.»
Sie ging in die Küche, um Gullweig ihre Hilfe bei der Vorbereitung des
dogurðr,
des Frühstücks, anzubieten.
Bislang hatte die alte Frau ihre Unterstützung immer abgelehnt. In den vergangenen Tagen hatte Gullweig meist tatenlos neben dem Kuppelofen gesessen und Löcher in die Luft gestarrt. Heute war sie jedoch mit Backen beschäftigt.
«Kannst du mit einer Mühle umgehen?», fragte Gullweig, ohne aufzuschauen.
«Ja. In dem anderen Haus habe ich jeden Tag gemahlen und gebacken.»
Gullweig wischte sich mit der staubigen Hand über die Stirn. Weißes Mehl blieb an ihrer Haut haften. Sie gab der jungen Frau eine Handvoll Eicheln und forderte sie auf, diese zu zerkleinern und zum Strecken des Teigs unter das Roggenmehl zu mischen.
«Eicheln?», fragte das Mädchen. «Aber die sind bitter.»
«Soll ich etwa Kastanien nehmen? Die sind noch viel bitterer.»
«In deinem Garten wachsen Bohnen. Ich habe gesehen, dass sie reif sind. Warum nimmst du nicht sie für das Brot?»
Gullweig verzog mürrisch den Mund. «Seitdem ich ein junges Mädchen bin, kümmere ich mich um den Haushalt. Aber noch nie habe ich Bohnen für einen Brotteig verschwendet.»
«Man kann dem Teig auch gebratene Zwiebeln und Farnwurzeln zugeben. Das ist gegen den sauren Geschmack. Das Brot wird süß.»
Auf Gullweigs Wangen zeichneten sich rote Flecken ab. «Süßes Brot? Ich …»
Helgi trat hinzu und lehnte sich mit verschränkten Armen in den Türrahmen. «Versuche es doch einfach mal!», sagte er zu seiner Mutter.
«Ich wollte dich nicht ärgern, Frau», warf das Mädchen ein.
«Ach was», sagte Helgi. «Süßes Brot wäre genau das Richtige.»
«Ich habe überhaupt keine Farnwurzeln», protestierte Gullweig.
«Dann hol doch welche aus dem Wald, Mutter.»
«Wer hat in dieser Küche das Sagen?», regte Gullweig sich auf. «Bislang war es meine Aufgabe, das Essen zuzubereiten. Und das wird auch so bleiben.»
Helgi ergriff Partei für Rúna. «Aber sie wollte dir doch nur helfen.»
Gullweig nahm eine Schüssel mit Fischabfällen aus dem Regal und gab sie der jungen Frau. «Dann wollen wir doch mal sehen, ob deine Sklavin auch kochen oder nur gute Ratschläge erteilen kann.»
«Sie ist nicht meine Sklavin …»
Gullweig steigerte sich in ihren Ärger hinein. «Wenn du dich wie ein Mann benommen und Mardöll geheiratet hättest, anstatt einer Sklavin nachzustellen, dann …» Sie unterbrach sich selbst. Ihre Augen füllten sich mit Tränen.
Helgi wusste, was sie hatte sagen wollen:
… dann würde Einar noch leben!
«Hört auf, bitte», sagte Rúna. Sie stocherte mit demFinger in der Schüssel herum. Darin lagen die Köpfe von zwei kleineren Hechten sowie einiger Brachsen.
Gullweig räusperte sich. «Björn
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