Das Buch der Vampire 05 - Sanfte Finsternis
konnte gern ein großer Held sein, wenn er sich auf der anderen Seite des Ozeans befand.
Sebastian schluckte und hatte wieder den durchdringenden Geschmack des Brandy auf der Zunge. Er hatte eindeutig zu viel getrunken. Aber es war noch Tag, und ein kleines Nickerchen würde dafür sorgen, dass er am Abend wieder einen klaren Kopf hatte.
Die Tür des Zimmers, das er mit Victoria teilte - mit Victoria teilte; wie sich das anhörte! -, öffnete sich leicht, und er trat mit einem leisen Schlurfen über die Schwelle.
Und blieb abrupt stehen.
Blut. Er roch Blut.
Die Nachwirkungen des Brandy fielen von ihm ab, als er der Szene gewahr wurde, die sich ihm bot: Victoria, bleich, hingestreckt auf dem Bett, das dunkle Haar an ihrem Gesicht klebend... Antonins Gesicht an sie geschmiegt, sein Kiefer, der sich bewegte, während er in langen Zügen trank.
Der Geruch von Eisen stieg Sebastian in die Nase, und ein roter Schleier legte sich vor seine Augen. Er brüllte laut auf, sprang durch das Zimmer und packte den Vampir am Haar, wobei er sich irgendwie daran erinnerte, ihn erst von ihr wegzureißen, wenn die Zähne nicht mehr in ihrem Fleisch waren.
»Sebastian, nicht!«, sagte sie und kam hoch. Er sah Blut an ihrem weißen Arm herunterlaufen. In der anderen Hand hielt sie einen Pflock. Mit müdem, weichem Blick sah sie überrascht zu ihm auf. Er konnte sich gerade noch zurückhalten, Antonin nicht den Pflock in die Brust zu rammen, als sie aus dem Bett sprang und ihn nach hinten drängte.
»Was zum Teufel machst du da?«, schrie er und bemerkte etwas verspätet, dass der Vampir immer noch ein hilflos verschnürtes, an Händen und Füßen gefesseltes Bündel war. Dass er das Blut aus ihrem Handgelenk gesaugt hatte, während sie den Pflock bereithielt. Abscheu stieg in ihm auf, als er begriff. Er packte ihre Schultern und bohrte seine Finger in ihr weiches Fleisch.
»Sebastian«, sagte sie, während sie sich gegen seinen Griff wehrte. Aber er ließ sie nicht los, setzte alle Kraft ein, die er besaß, während Wut und Abscheu sich mit Verlangen und Furcht vermischten. »Hör auf!«
»Victoria, ich begreife es nicht. Warum? Was soll...?« Seine Stimme verklang, und er musste schlucken. Dann schob er sie so heftig von sich weg, dass sie das Gleichgewicht verlor und aufs Bett fiel.
Am liebsten hätte er sich dazugelegt. Sebastian wandte sich ab, während die Übelkeit, die in seinem Magen rumorte, immer stärker wurde.
Sie stand auf. Auf ihrem schönen Gesicht lag ein verschlossener Ausdruck und vielleicht der Anflug eines Schuldgefühls. »Es tut mir leid, dass ich dich erschreckt habe«, erklärte sie mit ruhiger Stimme und ohne ihn dabei aus den Augen zu lassen. »Das wollte ich nicht.«
»Ich wusste nicht, dass du... daran Gefallen gefunden hast«, erwiderte er. Entsetzen, vermischt mit dem Geschmack des Brandy, brannte in seinem Hals. Er wusste nur zu genau, was für ein Gefühl das war, wenn die Fangzähne ins Fleisch glitten, was für ein lustvoller Schmerz, wenn das Blut langsam herausgesaugt wurde. Die Sinnlichkeit, die dem innewohnte, die benommene Erotik. Aber Victoria?
Sie sah Antonin an und dann wieder Sebastian. »Ich dachte«, sagte sie mit leiser Stimme. »Ich dachte, wenn sein Blut mit etwas Gardella-Blut vermischt wäre, könnte das...« Ihre Stimme wurde immer leiser, und sie redete nicht weiter, während ihm plötzlich alles klar wurde.
Pesaro. Sie hatte es für Pesaro getan, wegen dieser verdammten Prüfung.
Sebastian merkte, wie sich seine Lippen verzerrten. »Nun, tja... das ist ein interessanter Gedanke. Obwohl ich bezweifle, dass Pesaro dir für deine Einmischung dankbar sein wird.«
»Du darfst es ihm nicht erzählen.« Victoria stand da und rieb sich die widerlichen Stellen an ihrem Arm. Verdammt noch mal, sie waren tief, und sie sah blass aus. Sie schwankte leicht. Wie viel Blut hatte sie verloren?
»Du Närrin«, sagte er, drehte sich um und fing an, in seinem Beutel zu wühlen. Salziges Weihwasser würde helfen, dass die Wunden schneller verheilten.
Aber sie war schwach. Das erkannte er an ihren tief liegenden Augen und ihrer Blässe.
Trotzdem konnte er ihr keinen Vorwurf daraus machen. Denn würde er nicht auch aus Liebe alles tun?
Später am Abend erfuhren sie durch eine Brieftaube, dass Brim und Michalas in Prag eingetroffen waren. Deshalb begaben sich Victoria und Sebastian zur Steinbrücke, um sich dort mit ihnen zu treffen. Brim umarmte sie bei ihrer Ankunft und überraschte sie
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