Das Buch der verschollenen Geschichten - Teil 1 & Teil 2
stünde ich nicht waffenlos und allein hier. Keine Freundschaft empfindet Beren, Sohn Egnors, für das Geschlecht der Menschen; wahrlich nicht, und weil er der Lande, welche die Menschen überschwemmen, aufs äußerste leid ist, hat er seine Wanderung aus Aryador unternommen. Manch eine großartige Geschichte von deinem Glanz und Ruhm hat mein Vater mir vor Zeiten erzählt, und darum, obgleich ich kein abtrünniger Sklave bin, wünsche ich nichts so sehr, wie dir zu dienen, so gut ich kann.‹ Und darauf sagte Beren, er sei ein tüchtiger Jäger kleiner Tiere und Vogelsteller, habe sich auf seinen Streifzügen in den Hügeln verirrt und sei nach mancherlei Wanderungen in fremde Landstriche geraten, wo er sich, hätten die Orks ihn nicht ergriffen, keinen anderen Rat gewusst hätte, um in Sicherheit zu gelangen, als sich der Majestät des Ainu Melko zu nähern und ihn zu bitten, ihm ein bescheidenes Amt zu gewähren – vielleicht als Jäger, der ihm das Wildbret für seine Tafel beschaffen würde.
Ob nun die Valar ihm diese Worte eingegeben hatten, oder ob es die Zauberkraft listiger Rede war, die Gwendeling ihm aus Mitleid verliehen hatte – seine Worte retteten ihm tatsächlich das Leben, und Melko, der seine gestählte Gestalt bemerkte, glaubte ihm und war willens, ihn als Sklaven für seine Küchen anzunehmen. Schmeicheleien klangen immer süß in den Ohren dieses Ainu, und trotz seiner unermesslichen Klugheit täuschte ihn manch eine Lüge derer, die er verachtete, war sie nur in die wohlklingenden Worte einer Lobrede gekleidet; darum gab er nun den Befehl, Beren solle ein Sklave von Tevildo werden, dem Fürsten der Katzen. 1 Tevildo nun war eine mächtige Katze – die mächtigste von allen – und, wie manchesagen, von einem bösen Geist besessen, und er gehörte zu Melkos ständigem Gefolge; und diese Katze herrschte über alle anderen Katzen, und seine Untertanen waren die Jäger, welche das Fleisch für die Tafel Melkos und für seine häufigen Feste beschafften. Daher rührt es, dass zwischen den Elben und allen Katzen noch immer Hass herrscht, selbst heute, da Melko nicht länger mächtig und die Zahl seiner Tiere sehr geschwunden ist.
Als Beren also zu den Hallen Tevildos fortgeführt wurde, die von Melkos Thron nicht sehr weit entfernt lagen, fürchtete er sich sehr, denn eine solche Wendung der Dinge hatte er nicht vorausgesehen, und diese Hallen waren kaum erleuchtet, sondern erfüllt von Knurren und ohrenbetäubendem Schnurren. Katzenaugen leuchteten überall, wie rote, grüne oder gelbe Lampen glühend, wo die Katzen aus Tevildos Gefolge saßen und mit ihren prachtvollen Schwänzen schlugen oder peitschten; Tevildo selbst aber thronte über ihnen, eine riesige Katze, pechschwarz und bösartig anzuschaun. Seine Augen waren groß, sehr schmal und geschlitzt und leuchteten rot und grün, seine Schnurrhaare jedoch, riesig und grau, waren so starr und spitz wie Nadeln. Sein Schnurren klang wie das Dröhnen von Trommeln und sein Knurren wie Donner, wenn er aber im Zorn kreischte, gefror das Blut in den Adern, und kleine Tiere und Vögel erstarrten in der Tat zu Stein oder fielen beim bloßen Geräusch leblos zu Boden. Als nun Tevildo Beren erblickte, verengten sich seine Augen, bis sie sich zu schließen schienen, und er sagte: ›Ich rieche Hunde‹, und von diesem Augenblick an empfand er gegen Beren einen Widerwillen. Tatsächlich war Beren in seiner heimatlichen Wildnis ein Freund der Hunde gewesen.
›Wie könnt ihr es wagen‹, sagte Tevildo, ›eine solche Kreatur zu mir zu führen, es sei denn, wir sollten vielleicht einen Bratenaus ihr machen?‹ Doch jene, die Beren brachten, erwiderten: ›Nein, es ist der Befehl Melkos, dass dieser unglückliche Elb sein Leben damit zubringen soll, in Tevildos Diensten Tiere zu jagen und Vögel zu fangen.‹ Da stieß Tevildo einen Schrei der Verachtung aus, und er sagte: ›Dann muss mein Herr wahrhaftig geschlafen haben oder mit seinen Gedanken anderswo gewesen sein, denn welchen Nutzen hat es, glaubt ihr, dem Fürsten der Katzen und seinem Gefolge ein Kind der Eldar zu schicken, dass es ihnen bei der Jagd auf Vögel oder Tiere helfe – ihr hättet ebenso gut einen plumpfüßigen Menschen herbringen können, denn niemanden gibt es, ob Elb oder Mensch, der es im Jagen mit uns aufnehmen kann.‹ Gleichwohl unterzog er Beren einer Prüfung und befahl ihm, drei Mäuse zu fangen, denn seine Halle sei voll davon, wie er sagte. Wie man sich vorstellen kann,
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