Das Buch der verschollenen Geschichten - Teil 1 & Teil 2
Plätze, tiefe Beschwörungen des Lebens und Wachsens, und erweckte die Kräfte, zu sprießen, zu blühen und Frucht zu tragen – doch kein Wort vom Vergehen war in ihrem Lied. Nachdem sie gesungen hatte, verfiel sie für lange Zeit in tiefes Nachdenken, und die Valar saßen ineinem Kreis, und die Ebene von Valinor war dunkel. Als aber einige Zeit vergangen war, senkte sich endlich ein heller Strahl von Gold ins Herz der Finsternis, und die Valar und ihr Gefolge sandten einen Schrei des Jubels und des Lobpreises zum Himmel. An jenem Ort nämlich, der mit Licht aus Kulullin getränkt worden war, wuchs ein schlanker Schössling empor, dessen Rinde einen mattgoldenen Glanz verströmte; diese Pflanze jedoch wuchs sehr rasch, so dass nach sieben Stunden ein gewaltiger Baum daraus geworden war, und alle Valar und ihr Gefolge konnten unter seinen Ästen Platz finden. Höchst wohlgestaltet und schön gewachsen war dieser Stamm, und seine glatte Rinde war unverletzlich, und noch hoch über der Erde verströmte sie ein schwachgelbes Licht. Dann trieb er in den Lüften in alle Richtungen zartes Gezweig, auf allen Ästchen und Zweiglein schwollen goldene Knospen auf, und daraus brachen tiefgrüne Blätter hervor, deren Ränder schimmerten. Schon war das Licht, das der Baum gab, kräftig und hell, doch da begann er vor den staunenden Augen der Valar eine verschwenderische Blütenpracht zu entfalten, so dass alle seine Zweige unter langen schwingenden Blütentrauben verschwanden, deren Spitzen wie Myriaden flammender Hängelampen Licht aussandten, das sich mit einem sanften Geräusch auf den Boden ergoss.
Da priesen die Götter Vána und Palúrien und bejubelten das Licht und sagten zu ihnen: ›Seht, wahrlich, das ist ein sehr schöner Baum, der einen eigenen Namen haben muss.‹ Und Kémi sagte: ›Wir wollen ihn Laurelin nennen, wegen des Glanzes seiner Blüten und der Musik seines Taus.‹ Doch Vána wollte ihn Lindelokse nennen, und beide Namen blieben.
Es waren nun zwölf Stunden vergangen, seit Lindelokse zu sprießen begonnen hatte, und in diesem Augenblick begann ein silberner Schimmer das gelbe Leuchten zu durchdringen,und die Valar sahen einen Schössling aufsprießen an dem Flecken, der mit dem Wasser aus Silindrin getränkt worden war. Er hatte eine zartweiße Rinde, die wie Perlen schimmerte, und er wuchs ebenso rasch, wie Laurelin es getan hatte. Während dieses Bäumchen aber größer wurde, verminderte sich die Pracht Laurelins, und seine Blüten leuchteten schwächer, bis er nur noch zart und wie im Schlaf strahlte. Doch seht, der andere Baum wuchs heran und wurde ebenso groß wie Laurelin, sein Stamm war noch schöner geformt und schlanker und seine Rinde wie Seide, doch in der Höhe waren seine Zweige kräftiger und verschlungener, sein Gezweig dichter und trieb wie Speerspitzen eine Unmenge bläulich-grüner Blätter hervor.
Da starrten ihn die Valar voll Verwunderung an, doch Palúrien sagte: ›Dieser Baum hat noch nicht aufgehört zu wachsen.‹ Und siehe, während sie dies sagte, begann er zu blühen, und seine Blüten hingen nicht in Trauben, sondern saßen einzeln an feinen Stengeln, die gemeinsam hin- und herschwangen, und sie waren wie Silber und Perlen und blitzende Sterne und strahlten mit einem weißen Licht; und es schien, als klopfe das Herz des Baumes und sein Glanz werde mit dem Herzschlag stärker und schwächer. Aus seinem Stamm quoll Licht wie flüssiges Silber, tropfte auf die Erde und erleuchtete weithin die Ebene, doch wegen der großen Blätter reichte es nicht so weit wie das Licht des goldenen Baumes; und im Auf und Ab seiner inneren Kräfte warf er beständig wechselnde Schatten über die Teiche seiner Helle, sehr klar und schwarz; darauf konnte Lórien seinen Jubel nicht mehr zurückhalten, und selbst Mandos lächelte. Doch Lórien sagte: ›Hört! Ich will diesem Baum einen Namen geben und ihn Silpion nennen‹, und das ist seitdem immer sein Name gewesen. Da erhob sich Palúrien und sagte: ›Sammelt nun alles Licht, das in flüssigerGestalt von diesem schönen Baum tropft, und bewahrt es in Silindrin, und von dort lasst es mit Maßen ausstrahlen. Wisset nämlich, wenn die zwölf Stunden seines vollsten Lichtes vorüber sind, wird das Licht dieses Baumes wieder schwächer werden, Laurelin aber wird erneut aufstrahlen; damit er nicht Mangel an Wasser habe, wässert ihn aus dem Kessel Kulullin und immer zu der Stunde, da Silpion schwächer wird, doch mit Silpion verfahrt in der
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