Das Buch der verschollenen Geschichten - Teil 1 & Teil 2
Sterne gesetzt. Die Geister sangen wunderbar in diesen Gärten, die Nachtblumen dufteten, und die Lieder der schlaftrunkenen Nachtigallen erfüllten sie mit süßem Schall. Dort gediehen auch, rötlich in der Dunkelheit leuchtend, die Mohnblumen, welche die Götter fumellar nannten, die Blumen des Schlafs – und Lórien bediente sich ihrer oft bei seinen Zaubereien. In der Mitte dieses Gartens der Köstlichkeiten lag, umgeben von einem Ring hoch aufragender schattiger Zypressen, das tiefe Becken von Silindrin in einem Bett von Perlen. Silberne Lichter zuckten über seine glatte Oberfläche, die Schatten der Bäume lagen darauf, und die Berge von Valinor konnten sich darin spiegeln. Wenn Lórien hineinstarrte, sah erviele wundersame Bilder über den Wasserspiegel ziehen, und niemals duldete er, dass Silindrin im Schlaf gestört wurde, außer wenn Silmo sich geräuschlos nahte, um mit silbernem Krug aus der schimmernden kühlen Flut zu schöpfen und sich damit leise zu Silpion zu begeben, um die Wurzeln zu wässern, bevor der goldene Baum aufblühte.
Anderen Sinnes war Tulkas, und er wohnte mitten in Valmar. Voller Jugend ist er und gliederstark und ausgelassen, und deshalb wird er Poldórea genannt, der die Spiele liebt, das Schwirren der Bogensehne, den Faustkampf, das Ringen, Springen und Laufen und Lieder, zu denen man wohlgefüllte Becher schwenkt. Indessen ist er kein Zänker, der wie Makar ungereizt Schläge austeilt, obwohl niemand unter den Valar ist oder den Úvanimor (welche Ungeheuer, Riesen und Oger sind), der die Muskelkraft seines Arms und den Schlag seiner eisenumkleideten Faust nicht fürchtete, wenn er Grund zum Zorn hat. Ihm gehörte ein Haus voller Heiterkeit und fröhlichem Treiben; und es ragte mit vielen Stockwerken hoch in die Lüfte und hatte einen Turm von Bronze und einen breiten Bogengang mit Säulen aus Kupfer. In seinem Hof maßen sich die Männer im Spiel und im Wettkampf, und zuweilen brachte ihnen die liebliche Nessa, Tulkas’ Gemahlin, Becher mit dem schönsten Wein und kühle Getränke. Doch am liebsten zog sie sich an einen Ort mit schönen Wiesen zurück, deren Grasdecke ihr Bruder Orome von der üppigsten aller Waldlichtungen abgeschält hatte, und Palúrien hatte sie mit Zaubersprüchen gepflanzt, so dass sie immer grün war und weich. Dort tanzte sie mit ihren Jungfrauen, solange Laurelin blühte. Und tanzt sie nicht gar schöner als Vána selbst?
In Valmar wohnte auch Noldorin, der vor langer Zeit als Salmar bekannt war, spielte nun Harfe und Leier, saß nun unter Laurelin und ließ seine süße Musik erschallen. Fröhlichsang Amillo dort zu seinem Spiel, der auch Ómar genannt wird und die schönste aller Stimmen besitzt, und alle Lieder in allen Sprachen kennt; wenn er aber nicht zur Harfe seines Bruders sang, erging er sich in Oromes Gärten, wo manchmal die zarte Jungfrau Nielíqui unter den Bäumen tanzte.
Orome nannte ein ausgedehntes Gebiet sein Eigen, und er liebte es sehr, und seine Mutter Palúrien liebte es nicht weniger. Die Gehölze, welche die beiden auf der Ebene von Valinor anpflanzten und sogar auf den Ausläufern der Berge, finden auf der Erde nicht ihresgleichen. Tiere tummelten sich dort, Hirsche zwischen den Bäumen und Rinderherden auf den Lichtungen und weiten Grasländern; Bisons und Pferde liefen dort frei umher, drangen freilich nie in die Gärten der Götter ein; sie lebten friedlich und ohne Furcht, denn es gab dort keine Raubtiere, und Orome zog in Valinor nicht auf die Jagd. Wenngleich er dieses Reich sehr liebt, hält er sich doch sehr oft in anderen Teilen der Welt auf; ebenso häufig wie Palúrien und häufiger noch als Osse, und dort wird er zum größten aller Jäger. Doch in Valmar sind seine Hallen schlicht und geräumig, und sehr prächtige und wertvolle Häute und Felle bedecken dort den Boden oder sind an den Wänden aufgehängt und dazu Speere, Bögen und Messer. In der Mitte jedes Gemachs und jeder Halle wächst ein lebendiger Baum und trägt das Dach, geschmückt mit Jagdtrophäen und Geweihen. Hier versammelt sich Oromes Gefolge, in Grün und Braun gekleidet, in lärmender Fröhlichkeit, und der Herr der Wälder wird mit kräftigen Hochrufen begrüßt; doch Vána, seine Gemahlin, stiehlt sich davon, so oft sie kann. Weit entfernt von den geräuschvollen Höfen des Hauses liegen ihre Gärten, und vom unbebauten Land trennt sie ein fester Zaun aus großgewachsenem Weißdorn, der Blüten trägt wie ewiger Schnee. Im Herzen dieser
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