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Das Buch der verschollenen Geschichten - Teil 1 & Teil 2

Das Buch der verschollenen Geschichten - Teil 1 & Teil 2

Titel: Das Buch der verschollenen Geschichten - Teil 1 & Teil 2 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J.R.R. Tolkien
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dieser schönen Tageszeit auf dem Rasen mit Vaire führte, die Ursache, dass er nur wenige Tage später aufbrach – und Zwitschervogel hatte ihm viele Male in der Dunkelheit vorgespielt, bei Sternenlicht und Mondesglanz, bis sein Herz überfloss. Winzigherz war sein Führer, und sie begaben sich zum Hause Meril-i-Turinqis in ihrem korin von Ulmen.
    Das Haus dieser edlen Frau war nun in ebendieser Stadt, denn am Fuße des großen Turms, den Ingil erbaut hatte, lag ein weiter Hain der ältesten und schönsten Ulmen, die es in diesem Land der Ulmen überhaupt gab. Himmelwärts stiegen sie empor wie dreifach gestufte Pyramiden hellen Blattwerks, und das Sonnenlicht, das hindurchfiel, war sehr kühl – ein goldenes Grün. In der Mitte war ein großer Rasenplatz, weich wie aus Wolle gewebt, und ringsum standen die Bäume im Kreis, so dass seine Ränder in dichtem Schatten lagen, derSonnenglanz aber den ganzen Tag in seine Mitte fiel. Dort stand ein schönes Haus, ganz aus Weiß gebaut und in Weißheit erstrahlend, aber sein Dach war überwachsen mit Moosen und Dachwurz und vielen seltsamen Kletterpflanzen, so dass im prächtigen Übermaß der Farben, ob golden, rostbraun, purpurn oder grün, nicht mehr zu erkennen war, woraus das Haus einst erbaut worden war.
    Ungezählte Vögel zwitscherten in seinen Dachtraufen oder sangen auf dem First, während Scharen von Tauben die Ränder des korin umkreisten oder auf das Rasenstück niedergingen, um sich zu sonnen. Das ganze Haus war von Blumen umkränzt: ein dichtes Verhau von Blütentrauben, Ähren und Quasten, Strängen und Polstern, von Blumen in Rispen und Dolden oder mit großen offenen Gesichtern, der Sonne zugewandt. Ihre vielen Gerüche verloren sich in der schwach bewegten Luft und vereinigten sich zu einem einzigen mächtigen Duft von wunderbarstem Zauber, doch ihre Tönungen und Farben waren verstreut oder vereinigt, scheinbar wie der Zufall oder ein glückliches Wachstum es gefügt hatte. Den ganzen Tag über summten Bienen um diese Blumen, sie schwebten über dem Dach und den duftenden Beeten und Wegen, ja sogar in den kühlen Vorhallen des Hauses. Als nun Eriol und Winzigherz den Hügel erklommen, war es spät am Nachmittag, und das Sonnenlicht lag bronzefarben auf der Westflanke von Ingils Turm. Bald gelangten sie zu einer mächtigen Mauer aus behauenen Steinblöcken, die nach außen geneigt war; und ihre Krone war mit Gräsern, Glockenblumen und gelben Maßliebchen bewachsen.
    Sie fanden eine kleine Pforte in der Mauer, und dahinter war unter den Ulmen ein freier Platz, und dort verlief ein Pfad, auf der einen Seite von Büschen gesäumt, während auf der anderen ein kleines murmelndes Bächlein in einem braunenblättergefüllten Bett dahinrann. Es führte geradewegs zum Rand des Rasenstücks, und als sie dort angelangt waren, deutete Winzigherz auf das weiße Haus und sagte: »Dort wohnt Meril-i-Turinqi, und weil ich mit einer so mächtigen Herrin nichts zu schaffen habe, werde ich wieder umkehren.« Da ging Eriol allein über den sonnigen Rasen, bis die hohen Blumen, die vor den Vorhallen wuchsen, ihm fast an die Schulter reichten; und als er näher kam, hörte er Musik, und eine schöne Frau, von vielen Jungfrauen umgeben, kam hervor, wie um ihn zu begrüßen. Dann sagte sie lächelnd: »Willkommen, Befahrer vieler Meere – wie kommt es, dass du die Freuden meiner stillen Gärten und ihrer zarten Musik suchst, wo doch eher die salzigen Brisen des Meers und die frischen Winde und ein schwankendes Boot dein Vergnügen sind?«
    Eine Weile vermochte Eriol nicht zu antworten, denn die Schönheit dieser Frau und die Lieblichkeit dieses Ortes der Blumen hatten seine Zunge gelähmt; doch endlich murmelte er, dass er der Meere genug gesehen habe, er sich aber an diesem lieblichsten aller Länder nie werde satt sehen können.
    »Nein«, sagte sie, »an einem Tag im Herbst werden die Winde kommen, vielleicht wird über dir eine verirrte Möwe schreien, und dann wird dich das Verlangen packen, wenn du dich der schwarzen Gestade deiner Heimat erinnerst.« 2 »Nein, hohe Frau«, erwiderte Eriol, und nun sprach er mit befreiter Stimme, »nein, es wird nicht so sein, denn der Zauberklang der Flöten über den dämmrigen Wiesen hat mein Herz mit Musik erfüllt, und mich dürstet nach einem Trunk der limpe!«
    Da wurde das lächelnde Gesicht Merils sogleich ernst, sie gebot ihren Jungfrauen, sich zu entfernen, und forderte Eriol auf, ihr zu einem freien Platz in der Nähe des

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