Das Cassandra-Projekt: Roman (German Edition)
Geschichte!«
Haeffner runzelte die Stirn. »Also gut. Er hatte ein Alkoholproblem.«
»Das war mir nicht bekannt.«
»Gelegentlich hat er Seminare versäumt. Ein paarmal ist er zu Universitätsveranstaltungen erschienen, wenn er, na ja, besser zu Hause geblieben wäre. Und darum, so lauteten jedenfalls die Gerüchte, hat man ihn gebeten zu gehen.«
»Tut mir leid, das zu hören.«
»Uns hat es auch leidgetan. Wir haben einen guten Mann verloren. Und am Ende hat es ihn umgebracht.«
»Das wusste ich auch nicht. Was ist passiert?«
»So genau weiß ich das auch nicht. Aber Sie wissen doch, dass er sich das Leben genommen hat, nicht wahr?«
»Nein, ich hatte keine Ahnung.«
»Nach dem, was mir damals zu Ohren kam, litt er an einer diagnostizierten klinischen Depression. Ich mochte ihn. Ich bin sogar zu seiner Beerdigung geflogen. Die Leute dort haben erzählt, das alles hätte an der GW angefangen. Dass der Alkohol, die Stimmungsschwankungen und all das andere erst aufgetaucht seien, als er nach D. C. gegangen sei. Verdammt, und dabei hat der Kerl im Zweiten Weltkrieg einen Bomber geflogen! Wenn er schon depressiv werden musste, dann sollte man doch annehmen, dass sich das vor den Siebzigern hätten zeigen müssen.«
»Vielleicht war es das Arbeitsumfeld?«
»Auf keinen Fall. Die George Washington war ein wunderbarer Ort zum Arbeiten. Gute Verwaltung, gute Studenten. Ich hätte nie gehen sollen.«
Marvin Gray war die letzte Person auf Milts Liste. Er besaß ein Haus in einer Betreuten-Wohnen-Siedlung in der Nähe von Cincinnati. Bei Milts Besuch war er schon seit beinahe zwanzig Jahren im Ruhestand. Grays Frau ließ Milt ein, bat ihn, in einem der Armsessel Platz zu nehmen, und sagte ihm, Martin sei gleich bei ihm.
»Sie müssen Teri sein«, sagte Milt.
»Ja.«
»Haben Sie nicht auch gelehrt?«
»Ja, richtig. Mathematik, aber nur an der Highschool.« Sie lächelte. »Das ist lange her.«
Das Haus mit seinen vertäfelten Wänden und den opulenten Vorhängen machte einen behaglichen Eindruck. Überall hingen Bilder von Kindern und anderen Familienangehörigen. Außerdem sah Milt einige Urkunden und einen Pokal.
»Wir spielen im hiesigen Bridgeverein«, erklärte Teri.
Milt hörte, dass sich in einem der Nebenräume etwas rührte. Gleich darauf kam ein riesiger Mann, opulent wie das Wohnzimmer, mit einer glänzenden Glatze und einem wirren schwarzen Bart zur Tür herein und richtete den Kragen eines Xavier-University-Pullovers. In der Hand hatte er eine Zeitschrift, die er auf einem Beistelltisch ablegte. »Milton«, sagte er und streckte eine Ringerhand aus, »schön, Sie kennenzulernen. Was kann ich für Sie tun?«
Milt ging auf die übliche Weise vor, stellte ein paar allgemein gehaltene Fragen über Cohens Verdienste auf seinem Fachgebiet und sah, wie sich ein skeptischer Ausdruck in Grays Zügen bemerkbar machte. Milt fügte also hinzu, dass es, natürlich, verschiedene Ausdeutungen seiner Arbeiten gäbe. »Darum bin ich hier.« Er drückte seine Hoffnung aus, dass sein Gastgeber ihm helfen könne, ein besseres Licht auf die Dinge zu werfen. Teri verließ das Zimmer. »Wie gut haben Sie Cohen gekannt, Professor?«, fragte Milt.
»Nennen Sie mich Marvin!« Gray zuckte mit den Schultern. »Ich kannte ihn nur flüchtig. Er war in Ordnung. Anscheinend waren seine Seminare ziemlich gut. Aber wir haben nur ein einziges Mal zusammengearbeitet, eng zusammengearbeitet, meine ich, als Doktoranden. Er hat alles sehr ernst genommen. Hat nie seine Pflichten vernachlässigt.« Gray brach ab, suchte nach einem Rahmen für das, was er zu sagen hatte. »Ich schätze, ich bin ganz einfach verwundert, dass jemand ihn zu den Spitzenanthropologen des Jahrhunderts zählt. Und das habe ich Ihnen bereits am Telefon gesagt. Daher bin ich überrascht, dass Sie überhaupt den ganzen Weg zu uns herausgekommen sind.
Wissen Sie, Cohen hat getan, was von ihm erwartet wurde. Aber er war nicht … er war nicht brillant. Verstehen Sie, was ich Ihnen sagen will? Er war vermutlich etwa auf meinem Niveau. Hat ein paar Abhandlungen geschrieben und ein paar triviale Auszeichnungen gewonnen. Nichts von Bedeutung. Ich glaube, er hat den Ditko Award gewonnen und noch einen oder zwei andere, aber ansonsten ist er nie in Erscheinung getreten. Ich bezweifle, dass die Triple-A überhaupt von seiner Existenz wusste.«
»Die Triple-A?«
»Die American Anthropological Association.«
»Tja«, meinte Milt, »manche Leute erfahren erst
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