Das Cassandra-Projekt: Roman (German Edition)
Wänden zu nehmen, als Mary hereinkam, um noch einmal einen Appell an ihn zu richten. »Sie wollen das doch eigentlich gar nicht«, meinte sie. »Nehmen Sie sich vierundzwanzig Stunden Zeit, um darüber nachzudenken! Morgen rufen Sie mich an und geben mir Bescheid! Ich bin sicher, wir finden eine Lösung.«
Gott wusste, Jerry wollte bleiben. Wollte hier sein, wenn die NASA endlich zu dem würde, was alle einmal erwartet hatten. Aber er glaubte nicht länger daran.
»Mary«, sagte er, »hier geht es nicht um Politik. Wir sollten eigentlich in erster Linie der Wissenschaft dienen. Das war es, was mich angezogen hat, und es ist die Position, die ich vom ersten Tag an vertreten habe. Ich beteilige mich nicht an Vertuschungsmanövern. Ich führe niemanden in die Irre, und ich würde der NASA einen wahrhaft schlechten Dienst erweisen, würde ich jetzt damit anfangen.
Etwas Sonderbares ist vor fünfzig Jahren passiert. Ich weiß nicht, was es war oder auch nur, was es hätte sein können. Aber worum es dabei auch geht, solange mir niemand einen guten Grund liefert, die Sache zu vergessen, einen besseren als den, meinen Job nicht aufs Spiel zu setzen, so lange werde ich mich nicht an dem beteiligen, was wir gerade tun: Lügen verbreiten.«
Er überreichte ihr die Kündigung. Fünfzehn Minuten später fuhr er durch das Sicherheitstor hinaus auf den Kennedy Parkway und dachte ein bisschen wehmütig, dass er nie zurückkehren würde.
Im Zeitalter verzögerungsfreier Kommunikation musste ein Mann von gutem Ruf nicht lange warten, bis die ersten Jobangebote eintrafen. Tatsächlich häuften sie sich schon auf Jerrys Website, als er am nächsten Morgen aufstand. Die Hälfte der Konzerne auf dem Planeten schien jemanden zu brauchen, der sich als ihr Gesicht für die Öffentlichkeit eignete. Er erhielt Einladungen von Bolingbroke Furniture (die mit dem Slogan: ›Entspannen Sie mit der Elite‹); von Kia und Ford; von Coca Cola; und von Amnesty International. Harvard bot ihm einen Lehrstuhl an. Die Vereinten Nationen baten ihn, sich dem Komitee zur Beseitigung des Hungers (Committee for the Elimination of Hunger – CEH) anzuschließen. MSNBC lud ihn ein, sich unter den Kommentatoren der Morning Show einzureihen. Das State Department bot ihm einen Posten als Abteilungsleiter an. Dabei hatte Jerry keinerlei außenpolitische Erfahrung. Demnach bedeutete das möglicherweise, dass jemand hoffte, ihn so zum Schweigen zu bringen.
Die NFL brauchte einen Sprecher. Dort hatte man eine Reihe von Skandalen hinter sich und suchte nun, wie die NFL verlauten ließ, jemanden, dem der Ruf der Rechtschaffenheit vorauseile. Jerry fragte sich, ob man dort nicht vielmehr jemanden suchte, der die Presse von der NFL ablenkte.
Die meisten Positionen hätten ihm beträchtlich mehr Geld eingebracht, als er bei der NASA verdient hatte. Aber er konnte sich einfach nicht dafür begeistern, Autos zu verkaufen oder Softdrinks. Oder die unberechenbaren Millionäre der NFL zu decken. Das State Department würde eine Möglichkeit finden, ihn in die tiefste Mongolei zu entsenden. Amnesty International hörte sich gut an, aber hier war der Lohn minimal.
Josephine Bracken rief an, als er gerade zum Frühstück aufbrechen wollte. Sie arbeitete für CUES -Committee to Upgrade Energy Systems, eine weitere gemeinnützige Organisation. »Wir brauchen Sie, Jerry«, erklärte sie. Josephine war bereits seit zwanzig Jahren Aktivistin. »Wir können Ihnen nicht so viel bezahlen wie die NASA. Aber bedenken Sie den Zweck, dem Sie dienen könnten! Wenn es uns nicht gelingt, unsere Botschaft zu verbreiten und einen Verzicht auf die Nutzung fossiler Brennstoffe zu erreichen, wird es zur Klimakatastrophe kommen! Das ist nur eine Frage der Zeit. Wir können unmöglich weiter unsere Atmosphäre vergiften, ohne eine heftige Reaktion zu provozieren.«
»Ich würde Ihnen gern helfen, Jo«, entgegnete Jerry, »aber wenn Sie die Wahrheit wissen wollen: Ich glaube, die Leute sind es leid, Klimawarnungen zu hören. Ja, es geht bergab. Aber das ist ein langsamer Prozess, und die Leugner werden nicht aufhören, ehe die Katastrophe da ist. Tatsache ist, dass das niemanden mehr interessiert. Die meisten Leute denken überhaupt nicht darüber nach. Das Problem entzieht sich der allgemeinen Wahrnehmung.«
»Darum brauchen wir Sie ja, Jerry. Wir brauchen jemanden, der uns hilft, Bewegung in die Dinge zu bringen.«
»Jo, ich muss passen. Ich sage es nur sehr ungern, aber die Arbeit für
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