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Das Diamantenmädchen (German Edition)

Das Diamantenmädchen (German Edition)

Titel: Das Diamantenmädchen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ewald Arenz
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selbst.
    »Beim ersten Versuch«, sagte Paul, senkte den Hammer und berührte den Rücken des Messers ganz leicht, »beim ersten Mal ist das Spaltwerkzeug zerbrochen. Du musst dir das vorstellen. Die ganze Werkstatt steht um dich herum. Der größte Stein der Welt. Ein Fehler, und du hast ihn für immer zerstört. Und dann zerbricht das Messer. Als ob Gott es nicht wollte.«
    Sie standen jetzt sehr nah beieinander. Ihre Arme berührten sich, und Lilli spürte den schnellen Rhythmus, in dem Paul atmete.
    »Und dann musst du es noch mal versuchen«, sagte Paul, »obwohl du wirklich Angst hast, ob du alles richtig berechnet hast, wirklich alles bedacht hast, den Stein wirklich erkannt hast.«
    In einer einzigen fließenden Bewegung, völlig unerwartet, hatte Paul den Hammer gehoben und ihn völlig ohne Wucht auf den Rücken des Messers fallen lassen. Lilli atmete scharf und tief erschreckt ein. Es gab ein trockenes Klickern, als die zwei Teile des Steins auf die Bank fielen. Paul legte sorgfältig Hammer und Messer zur Seite, ohne danach die Steine aufzunehmen. Nur seinem Atem merkte man die Spannung an.
    »Joseph Assher ist nach der Spaltung in Ohnmacht gefallen, heißt es, für eine halbe Stunde. Und dann hat er noch eine halbe Stunde gebraucht, bis er sich getraut hat, die Teile zu prüfen.«
    Lilli sah zwischen Paul und den beiden Steinen auf der Bank hin und her. Dann, ganz unvermittelt und kurz entschlossen, nahm sie die beiden Stücke auf und hielt sie Paul hin.
    »Geglückt!«, sagte sie fest und leise lächelnd.
    Paul nahm die Steine aus ihrer Hand und hielt sie ins Licht.
    »Geglückt«, sagte er genauso leise, aber ein Strahlen breitete sich in seinem Gesicht aus. Lilli hatte Paul nur einmal so glücklich gesehen, und so spontan, wie sie nach den Steinen gegriffen hatte, lehnte sie sich leicht vor und küsste Paul auf den Mund. Wie weich seine Lippen waren, dachte Lilli. Sie waren so verliebt gewesen und hatten sich nie geküsst. Sie hatte die Augen nicht geschlossen. Es war alles schön, wie es eben war: das klare Herbstlicht, das die Schatten der Gitterstäbe schräg und scharf auf Bank und Boden zeichnete. Das singende Sägeblatt. Der leicht herbe Duft von Pauls Rasierwasser. Sie küssten sich, im Licht stehend, und Paul hatte eine Hand ganz leicht auf ihre Hüfte gelegt, die andere fast schwebend auf ihr Haar. Sie spürte keine Schwere, sondern nur ihre Wärme.
    »Für den grünen Diamanten Verzweiflung«, sagte sie schließlich, die Lippen ganz nah an seinem Gesicht, »ich glaube, ich hatte ihn noch nicht bezahlt.«
    Paul wollte etwas sagen, aber da klopfte es kurz und trocken an die Tür, und Gerda kam, ohne eine Antwort abzuwarten, mit einem Tablett herein. Sie hatten eben noch Zeit gehabt, einen Schritt auseinanderzutreten.
    »Der Vormittagskaffee«, sagte Paul mit trockener Ironie, »zur rechten Zeit wie immer.«
    Gerda sah verwirrt auf die Uhr.
    »Es ist doch zehn?«, fragte sie unsicher und Paul nickte ihr nur zu.
    »Danke«, sagte er, und Gerda ging, aber der Moment war verflogen.
    Sie tranken Kaffee und unterhielten sich, Lilli stellte ihre Fragen und machte Notizen. Noch immer war die Stimmung gelassen und heiter wie an einem unverhofft freien Tag, aber es war wie ein stillschweigendes Einverständnis, dass nichts berührt wurde, was mit ihnen beiden zu tun hatte. Nur am Ende, als Paul Lilli zur Tür brachte und ihr in den leichten Mantel half, ließ er für einen Augenblick beide Hände ganz sacht auf ihrer Schulter liegen, und Lilli ließ es geschehen.
    »Willst du nächste Woche wiederkommen?«, fragte er. »Dann ist der erste Stein geschliffen. Er wird ein Brillant. Soll ich ihn White Lily nennen?«
    »Ich komme auch so wieder«, sagte Lilli lächelnd, als sie aus dem Haus trat. Die Luft war noch kalt, aber die Sonne schien jetzt warm.
    »Ja«, sagte Paul, »komm wieder.«
    Er schloss die Tür hinter ihr, und Lilli ging mit schnellen Schritten den Gartenweg zum Tor entlang und dann auf die Straße, die sie als Mädchen so oft gegangen war. Und für einen Augenblick musste sie sich gegen eine große Trauer wehren, dass alles Einfache für immer verloren war und ein Kuss der Jugendliebe nicht mehr der Schlüssel zur Seligkeit. Sie schlenderte die Straße hinunter, bis sie an die Mauer kam, die ihren alten Garten von dem der van der Laans abgrenzte und über die sie so oft geklettert war. Das Haus stand schon seit Jahren leer. Eigentlich war ihr das lieber – sie hatte es nie gemocht, dass

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