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Das dritte Ohr

Das dritte Ohr

Titel: Das dritte Ohr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Curt Siodmak
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vollkommen.
    „Sie hat mir mit ihrem Gequassel einen Heidenschreck eingejagt“, sagte er. Es gelang ihm sogar zu lachen. „Diese fremde Stimme aus dem Dunkeln … sie klang gar nicht nach ihrer eigenen … und dieser winselnde Hund …“
    Astrid öffnete die Bluse der Frau und massierte sie zwischen den schlaffen Brüsten.
    „Ich weiß nicht, wovon sie sprach – Sie etwa, Dr. Bolt?“ fuhr Nemeth fort.
    „Sie redete in Trance – erzählte vermutlich ihre Träume“, sagte ich.
    „Sie redete Unsinn“, sagte Nemeth und sein dünnlippiger Mund wurde noch schmaler, als er hastig aus der Isolierzelle schlüpfte.
    Madame Dolores schlug die Augen auf. Sie stieß Astrid und Wilhelm zurück, spuckte das Mundstück aus und erwachte aus der Katatonie.
    „Was ist geschehen?“ fragte sie und fuhr sich mit den Händen über die Augen, als wollte sie ein Spinngewebe entfernen.
    Astrid half ihr, sich aufzusetzen.
    „Haben Sie sich selbst reden hören?“ fragte ich sie.
    „Natürlich. Das tue ich immer. Stresemannstraße vierundsiebzig. Das hatte der Arzt im Kopf. Er dachte auch an eine Falle … was für eine Falle?“
    Sie hielt nach Nemeth Ausschau, als ich ihr vom Stuhl hoch half, aber er war verschwunden.
    Als ich die Daten des Polygraphen sammelte, konnte ich keine Aufzeichnungen auf dem Tonband finden. Magnussen war ganz sicher, daß er das Tonbandgerät eingeschaltet hatte, Wilhelm dagegen weniger. Ich verschwieg ihm meine Meinung, daß das Band gelöscht worden war, sicherte aber hastig die Filterpatronen, mit der Aktivkohle und dem Silicagel. Ich wollte verhüten, daß ihr Inhalt genauso verschwand wie die Tonbandaufzeichnungen von Madame Dolores.

15
     
    In den nächsten zwei Wochen arbeitete ich abends, wenn das Personal der Klinik nicht mehr da war. Ich sagte Astrid, die etwas von Chemie verstand, und Magnussen, daß ich daran gewöhnt sei, allein zu arbeiten, wenn im Labor völlige Stille herrschte. Magnussen glaubte, daß ich mich mit der künstlichen Herstellung von Katecholaminmetaboliten befaßte, um bessere Halluzinogene zu erzeugen. Morgens berechneten Astrid und er, wie viele Gramm eines Grundstoffes benötigt, wie lange die Reaktionszeit bei der und der Konzentration von Salpetersäure betragen würde, wie die gewonnene Nitroverbindung zum Amin reduziert und dieses diazotiert werden konnte, und schließlich, wie man die Kopplungsreaktionen auslösen könnte. Ich versuchte, ihnen diese Arbeit möglichst langweilig zu machen und arbeitete träge, wobei ich absichtlich nicht das Tagespensum erfüllte. Abends, wenn ich allein war, wurde ich natürlich mit jeder vorgenommenen Arbeit fertig.
    Anfangs erboten sich Astrid und Magnussen dazubleiben. Doch schon bald wurde ich – auf mein Drängen hin – allein gelassen, wobei ihre Nachgiebigkeit durch den Geruch im Labor vielleicht beschleunigt wurde. Amine sind starkriechende Stoffe, und wenn ich Flaschen mit Kadaverin und Putressein offen ließ, die ihrem Namen entsprechend riechen, wurde der Gestank auch für mich fast unerträglich. Aber ich mußte diese Unannehmlichkeit auf mich nehmen, um meine emsigen Mitarbeiter zu vertreiben.
    Ich führte meine Suche nach dem Stoff, der Hunde zum Heulen brachte, heimlich weiter; ich hoffte die chemische Verbindung aufzuspüren, die dem Menschen die Macht verleihen würde, die Gedanken anderer zu lesen. Mein ständiger Begleiter war der weiße Zwergpudel. So wie Bergleute Kanarienvögel in die Grube mitnehmen, damit diese sie vor Giftgasen warnen, war der glücklich in einer Ecke schlafende Pudel meine Warnanlage, falls ich auf die ätherische Verbindung stoßen sollte, hinter der ich her war.
    Die vielen verschiedenen Verfahren erforderten Geduld, aber mir machte diese Art der Forschung Spaß. Ich war der Schnüffler aus dem Kriminalroman, den jede noch so unbedeutende Tatsache der Lösung näherbringt. War die Verbindung löslich? Reagierte sie auf p-Dimethylaminobenzoesäure? Aus welchen Elementen setzte sie sich zusammen?
    Besaß sie reduzierende Eigenschaften? Jede Frage führte zu einer Antwort, und jede Antwort brachte mich ihrer verborgenen Struktur näher.
    Jedesmal, wenn der Pudel zu heulen begann, sobald er der Substanz ausgesetzt wurde, die ich mittels Dünnschichtchromatographie aus dem Säureextrakt des aktivierten Aluminiumoxyds abgesondert hatte, mußte ich die Arbeit unterbrechen, um meiner inneren Aufruhr Herr zu werden. Als die Fluoreszensspektren mir eine aromatische Verbindung anzeigte,

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