Das dunkle Netz der Lügen
Liebrecht im Bett überfallen, gefesselt und geknebelt hatten, bevor sie in aller Ruhe die Schatulle mit den Kostbarkeiten ausräumten.
Die Täter hatten sich Tücher vor das Gesicht gebunden und trugen die graue Kleidung der Phoenix-Arbeiter. Natürlich hatte das alte Ehepaar Liebrecht niemanden erkennen können, und gesprochen hatten die Täter auch nicht. Commissar Borghoff glaubte keine Sekunde daran, dass die Männer wirklich auf dem Phoenix arbeiteten.
Das Hausmädchen hatte seine Herrschaften morgens gefunden. Frau Liebrecht war immer noch ganz krank vor Angst und hatte das Bett – eines in einem anderen Zimmer – bislang nicht verlassen.
Robert stellte schnell fest, dass die Diebe über den Küchenanbaudurch das geöffnete Schlafzimmerfenster eingestiegen waren. Nachfragen ergaben auch, dass die Arbeitskleidung von einer Wäscheleine in der Altstadt stammte.
«Es gab wieder viele Beschwerden über kleinere Diebstähle», erzählte Ebel, als er von seiner Erkundigungstour durch die Altstadt zurück ins Rathaus kam. «Manchmal ein paar Pfennige oder auch nur etwas zu essen.»
«Ich glaube kaum, dass diese Diebstähle etwas mit dem Raub bei Liebrechts zu tun haben», sagte Borghoff. «Aber Sie haben natürlich recht, wir müssen auch dagegen etwas unternehmen. Machen Sie bei Ihrer nächsten Runde den Leuten klar, dass sie sofort zur Polizei kommen müssen, wenn sie bestohlen wurden. Vielleicht ergibt sich daraus etwas, was uns auf die Spur der Diebe bringt. Und was Liebrechts betrifft, so habe ich sie gebeten, eine Liste der gestohlenen Schmuckstücke anzufertigen.»
Auch im Modesalon war der dreiste Raub Gesprächsstoff. Zita beteiligte sich kaum an den Mutmaßungen der anderen. Ihr ging nur der Gedanke nicht aus dem Kopf, dass es jetzt begonnen hatte. Einmal war sie bisher bei einem solchen Raubzug dabei gewesen. Die Greiferbande war in eine kleine Stadt eingefallen und hatte nach und nach über zwei, drei Monate, immer mit guter Vorbereitung diverser Spione, die meisten gutsituierten Familien ausgeraubt. In kleinen Städten gab es immer zu wenig Polizei, und wenn sich diese endlich auf alles eingerichtet hatte, war die Bande längst wieder über alle Berge. Aber Blut war damals nur wenig geflossen. Ein Mord wie der an Anna war noch undenkbar gewesen. Doch sie hatte immer gewusst, dass in Mathis Kellerer und nicht zuletzt auch in Weingart große Grausamkeit schlummerte.
Zita hatte, als sie Weingart von den Liebrechts erzählte, gehofft, sie könne die Diebereien bis zum Beginn der Maibälle hinauszögern, aber dass sie nun ihren Raub begangen hatten,während die Besitzer im Haus waren, zeigte, dass sich die Dinge geändert hatten. Sie vermutete, dass Weingarts Leute das Haus nur auskundschaften wollten und kurz entschlossen das offene Fenster dazu genutzt hatten, einzusteigen und die alten Leute zu überraschen. Sie mochte Frau Liebrecht, und zu wissen, dass ihr Hinweis für deren bedauernswerten Zustand verantwortlich war, machte sie ganz elend. Einen Moment kam ihr der Gedanke, mit Robert zu sprechen, aber solange sie ihre Tochter nicht in Sicherheit wusste, konnte sie das nicht tun.
Lina hatte eine kurze Pause gemacht und an Finchens Bett gesessen. Sie erholte sich schneller, als alle gedacht hatten. Zwar hatte die Arme große Schmerzen, aber das Fieber hatte wieder nachgelassen, und die Schwellungen an zwei entzündeten Wunden gingen auch bereits zurück. Sie lag im Bett, war wach und strahlte Lina an. «Der Baron von Sannberg hat mich besucht!», sagte sie stolz.
Cornelius war am Morgen hergekommen, um Lina zu erzählen, dass er das Haus in der Harmoniestraße gekauft hatte. Und da Finchen auch ihm seit den Geschehnissen vor sechs Jahren sehr ans Herz gewachsen war, hatte er es sich nicht nehmen lassen, ihr einen kurzen Besuch abzustatten und ihr persönlich gute Besserung zu wünschen.
Unvermittelt wurde Finchen wieder ernst. «Was ist mit Simon geschehen?» Das Strahlen war verschwunden.
«Im Moment ist er im Gefängnis, und der Commissar gedenkt, ihn dort zu behalten, solange es nötig ist.»
«Aber irgendwann wird er ihn wieder freilassen müssen …» In Finchens Stimme lag weniger Angst als Entmutigung.
Lina nickte. «Wenn wir nicht einen Richter finden, der bereit ist, ihn zu verurteilen.»
«Das wird nicht geschehen, Frau Borghoff. Man kann mirjeden Vorwurf machen, dass ich mich ihm widersetzt und ihm das Geld verweigert habe.»
«Ja, ich weiß», seufzte Lina. «Der
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