Das dunkle Universum 3 - Im Sog der Zeit
sagte Balogg mit lauter, jovialer Stimme, als Edeard sich zu der Wahlkabine begab.
»Und auf meine Unterstützung könnt Ihr auch weiterhin zählen, ganz gleich, was da kommt«, rief einer seiner Rivalen herüber.
Edeard grinste und trat in die Kabine. Die allgemeine Stimmung war gut. Aber immer noch war da eine unterschwellige Anspannung zu spüren. Er breitete die kleinen Zettel auf dem schmalen Schreibbord aus und nahm den Stift zur Hand, bevor er einen Zurückgezogenheitsschleier über sich warf. Ohne nachzudenken, kreuzte er auf dem Bürgermeister-Stimmzettel Finitans Namen an. Beim Abgeordneten zögerte er; Balogg war eine wirkliche Stütze gewesen, und er hatte die Courage besessen, zusammen mit Vologral die Ausschlussermächtigungen zu unterzeichnen. Die anderen waren in Sachen Verbannung recht lautstark aufgetreten, allein, ein Beweis für ihre Loyalität stand noch aus. Balogg verdient meinen Dank für das, was er getan hat , entschied Edeard und machte ein Kreuz hinter seinem Namen. Damit bliebe also alles beim Alten.
Die Demokratie ist schon eine seltsame Sache, dachte er, als er wieder herauskam und seine Stimmzettel in die Metallkiste einwarf. Ein Pärchen missmutiger Jugendlicher holte sich bei den Schreibern gerade seine Stimmzettel ab; demonstrativ mieden sie seinen Blick, als sie sich in ihre Kabinen verzogen. Und allein diese beiden könnten mich überstimmen , wurde er sich erschrocken bewusst. Doch im gleichen Moment schämte er sich für seine Voreingenommenheit. Das ist es, was Demokratie ausmacht, die Starken zur Verantwortung heranziehen und dafür sorgen, dass sie nicht zu stark werden. Rah hatte recht, als er uns diese Gesellschaftsform gab.
Etwas später, als die Leute mit ihrem Frühstück fertig waren, traf die nächste Welle von Wählern ein. Dann wieder eine Flaute. Am späten Vormittag wurden die Warteschlangen abermals länger. Edeard sandte seine Fernblicke in das benachbarte Silvarum aus, dann nach Drupe. Dort verlief die Stimmabgabe genauso wie hier, nicht in einem Ansturm der Massen, aber stetig. Nirgends ein Anzeichen von Ärger. Er ging die anderen Distrikte durch. Es war überall so ziemlich das Gleiche. Mit Ausnahme von Sampalok. Dort standen lange Menschenreihen vor der Distrikthalle. Etliche Konstablertrupps sorgten für Ordnung, mehr als in jedem anderen Distrikt. Edeard bekam mehrere Dispute mit den Schreibern mit, in denen es über Wohnsitznachweise ging. Die offiziellen Wahlbeobachter brachten sich mit hitzigen Zwischenrufen ein.
Sampalok war der einzige Ort, an dem er sich heute nicht blicken lassen konnte – nicht einmal, wenn dort ein kleiner Krieg über fehlende Wahlberechtigungen ausbrach. Die örtlichen Konstabler würden allein damit fertigwerden müssen, mit Verstärkung aus Bellis und Myco, falls nötig. Walsfol hatte mehrere Notstandspläne ausgearbeitet für den Fall aller Fälle.
Ich muss darauf vertrauen, dass andere ihre Arbeit machen. Auch das ist Demokratie.
Es gab sieben Kandidaten, die sich um den Abgeordnetensitz für Sampalok bewarben. Drei Pro-Waterwalker, vier Pro-Bise. Edeard gefiel dieses Verhältnis überhaupt nicht, aber auch das lag nicht bei ihm. Er war schon froh, dass ihn in dem Distrikt überhaupt jemand unterstützte. Obwohl Macsen und Kanseen akzeptiert zu sein schienen. Zumindest waren sie bis jetzt noch nicht wieder hinausgejagt worden. Das heutige Wahlergebnis war in hohem Maße ein Indikator dafür, ob die Einsetzung des Paares von Dauer sein würde oder nicht. Niemand stellte das Recht der Stadt in Frage, Distriktmeister zu bestimmen, das war zu neu, zu abseits des Normalen. Aber wenn Bises alte Garde wieder an Boden gewann, würde es nicht mehr lange dauern, bis die emsige Flüsterpropaganda begann.
Edeard konnte sich nicht vorstellen, dass irgendjemand für Owain stimmte, nicht nach dem Debakel mit der Miliz. Aber man konnte nie wissen. Demokratie! Sind die gebürtigen Städter womöglich deshalb so versiert darin, ihre Gefühle abzuschirmen? Um die Politiker auf Trab zu halten?
Jenseits von Sampalok ruhte sein Fernblick kurz auf dem unlängst (wieder einmal) renovierten House of Blue Petals. Seine Schuldgefühle hielten sich in Grenzen, als er die Pro-Owain-Wahlfeier beobachtete, die dort für die Klientel des Hauses veranstaltet wurde. Die Veranstaltung verstieß zwar nicht direkt gegen bestehendes Wahlrecht, das monetäre Unterstützung für die Wahl eines bestimmten Kandidaten verbot, bewegte sich aber hart an der
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