Das Echo der Flüsterer
dass die Einheit zurückgehalten wurde.
Von diesem Ereignis alarmiert, rief man noch einmal verschiedene hohe Moskauer Regierungsfunktionäre in den Spiegel. Im Kreml wusste man offensichtlich nichts von den amerikanischen Kommandos auf Kuba. In diesem Moment kam Quitu eine Idee. Was wäre, wenn Chruschtschow einen falschen Geheimdienstbericht erhielte, der ihm glaubhaft versicherte, eine amerikanische Invasion auf Kuba stünde kurz bevor?
»Nicht nur eine Sabotageaktion«, vertrat der ruhelose Quitu seine Idee, während er die Felsenkammer mindestens zwanzigmal durchquerte. »Wie würde der Leitbär reagieren, wenn er glauben müsste, ein massiver Angriff der Amerikaner könne jeden Augenblick erfolgen?«
Lischka nickte nachdenklich. »So wie Chruschtschow sich seit drei Tagen aufführt, könnte es wirklich funktionieren. Bei allem Jähzorn, der ihm eigen ist, scheint er mir in diesem vertrackten Spiel doch der Einzige zu sein, der eine gesunde Furcht vor einem Krieg hat. Ich meine das durchaus positiv. Lasst es uns probieren.«
Der kräftige Flüsterer beugte sich über den Spiegel, als sei dieser eine Servierplatte mit Kaviarschnittchen. Ganz gezielt ging er eine Reihe von Angehörigen der sowjetischen Armee durch, bis er den Richtigen gefunden hatte.
Der Oberst gehörte zum militärischen Geheimdienst auf Kuba. Im Augenblick beschäftigte er sich gewissenhaft mit einer Flasche Wodka. Lischka flüsterte in den vom Alkohol geöffneten Geist einige eindringliche Worte. Mit einem Mal riss der untersetzte Mann ein Formular aus dem Schreibtisch und warf einige Zeilen darauf, die aussahen wie eine Fieberkurve. Dann sprang er auf und lief in einen Nebenraum.
»Hier, Natascha, gib das sofort an die Kommandantur weiter.«
Die dunkelhaarige Frau blickte erst auf das Formular und dann auf den Russen. »Du willst mich doch nicht verkohlen, Wassili?«
»Habe ich das je getan, meine kleine Turteltaube?«
»Willst du’s verschlüsselt haben?«
»Natürlich. Aber bitte gleich. Es ist dringend.«
»Dann leg dich aber hin, Wassili. Du scheinst es nötig zu haben. Ich kabel den Text für dich nach Moskau – wenn ich ihn entziffern kann.«
Zwei Stunden später fegte ein völlig entnervter Generalsekretär durch den Kreml. Lischka lächelte. Chruschtschow hatte den Köder geschluckt. Um ihn herum standen Kusnezow und andere Mitarbeiter, die sich verzweifelt darum bemühten, nicht zur Zielscheibe von Nikitas Zorn zu werden.
»Wir müssen schnell reagieren«, forderte Chruschtschow. »Und wir müssen richtig reagieren. Wenn wir jetzt das Falsche tun, wird es Krieg geben.«
Frol Koslow, Chruschtschows Stellvertreter, sagte: »Das Beste wird sein, wir schreiben Kennedy einen Brief, in dem wir ihm ein deutliches Angebot unterbreiten: Wenn er seine Raketen aus der Türkei abzieht, werden auch wir ohne Zögern die unsrigen von Kuba entfernen.«
Der Kremlchef sah Koslow lange und eindringlich an. »Haben wir wirklich noch die Macht Forderungen zu stellen? Ich weiß nicht. Lasst uns das Ganze durchdiskutieren, und wenn es die ganze Nacht dauert.«
Freitag
26
Oktober
McGeorge Bundy flog regelrecht durch sein Büro. Von dem Kalender an der Wand nahm er keine Notiz. Ganz anders dagegen Jonas. Nach einer viel zu kurzen Nacht war er wieder in die Höhle der Flüsterer zurückgekehrt. Die dramatischen Ereignisse des vergangenen Tages hatten ihn einfach keine Ruhe finden lassen. Gespannt verfolgte er mit seinen Eltern und den Flüsterern das Geschehen im Spiegel.
Bundy hielt gerade das neueste CIA-Memorandum in der Hand. Ihm war seine Verärgerung anzusehen. Die Russen dachten gar nicht daran, ihre Raketenstellungen abzubauen. Ganz im Gegenteil, der Geheimdienst meldete verstärkte Aktivitäten beim Aufbau der Stellungen.
Mit Befriedigung hatte Bundy zuvor den Marinebericht von der Durchsuchung der Marucla gelesen. Der Frachter war zwar vom sowjetischen Ostseehafen Riga gekommen, aber als um acht Uhr ein bewaffnetes Kommando das Schiff durchsuchte, wurden keine Waffen gefunden. Kurz darauf hatten die beiden Zerstörer John Pierce und Joseph P. Kennedy jr. (benannt nach dem ältesten Bruder des Präsidenten, der im Zweiten Weltkrieg als Marinepilot gefallen war) den Frachter davonziehen lassen. Die Vereinigten Staaten hatten Stärke bewiesen, das war alles, was zählte.
In Moskau war man zu dieser Zeit um anderes besorgt. Chruschtschow hatte tatsächlich mit seinen Mannen die ganze Nacht im Kreml ausgeharrt. Das
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