Das Echo der Lüge - Miller, S: Echo der Lüge
breiten Grinsen fügte er hinzu: »Dann habe ich jetzt also die Ehre, Ihre Tante vom Flughafen abzuholen.«
Gemeinsam fuhren wir in die Hügel nördlich von Avignon.
31
»Die Zwischenlandung war ein Armageddon!«
Dora trug nicht wie Ernie bequeme Sachen zum Fliegen; sie hatte sich für die Ankunft hübsch gemacht. In einem dunklen Hosenanzug und mit einer Menge Modeschmuck behängt, kam sie auf mich zu.
»Warum ausgerechnet Brüssel?«, rief sie im Ton einer Vielfliegerin. »Weißt du, wie riesig der Flughafen ist? Ich bin seit Jahren nicht so weit gelatscht! Glaubst du, die hätten beim Sicherheitscheck ein paar Schalter mehr aufgemacht? Die Schlange war einen halben Kilometer lang.«
Während Dora die Erschöpfte spielte, sah Ernie frisch und angeheitert aus. Bestimmt hatte er vom Spirituosenangebot im Flugzeug kräftig Gebrauch gemacht.
»Es gab eine Fast Lane« , ereiferte Dora sich weiter. »Da wurden Politiker durchgeschleust. Eine Frechheit, alte Leute so lange stehen zu lassen! Was treiben denn all die Anzugträger in Brüssel?«
»Brüssel ist die Verwaltungshauptstadt der Europäischen Union.« Stein nahm Ernie die schweren Koffer ab. Dora trug nichts als ihren Beautycase.
»Ach, Sie sind das!«, zwitscherte sie. »Sie begleiten Tony im Urlaub? Ihr zwei hattet ja schon in Toronto viel zu besprechen.«
»Herr Stein hat beruflich hier zu tun.« Mir war Doras Eindeutigkeit peinlich.
»Frau Zuermatt und ich sind uns eher zufällig begegnet«, bekräftigte Ray.
» Herr Stein – Frau Zuermatt? So was von Höflichkeit!« Sie lachte. »Vor uns braucht ihr euch nicht zu verbiegen, stimmt’s, Ernie?«
Bevor er antworten konnte, eilte Dora zum Ausgang voraus. Die Automatiktür glitt auseinander, sie trat ins Freie. » Bonsoir , Frankreich, mon amou r !«
Ich gönnte ihr den Auftritt. Wie viele Jahre hatte sie es in ihrer Bruchbude aushalten müssen? Jetzt sollte sie das Land ihrer Träume genießen, schwelgen und laut sein, wie sie wollte.
»Habt ihr Hunger?«
»Und wie!« Dora nahm Kurs auf den Taxistand. »Das Zeug im Flieger war weitgehend ungenießbar.«
Ich lächelte, tja, so war das: Bis gestern hatte Dora sich von Lebensmitteln ernährt, bei denen das Verfallsdatum abgelaufen war, kaum zog sie in die Welt hinaus, wurde sie wählerisch. »Wir brauchen kein Taxi«, rief ich. »Wir haben einen Mietwagen.«
»Wo parkt ihr?«
Wahrscheinlich hatte Dora eine Stretchlimousine mit Chauffeur erwartet. Als wir den Kleinwagen erreichten, verbarg sie ihre Enttäuschung nicht. »Da passen ja nicht mal die Koffer rein.« Sie schob die Sonnenbrille hoch.
»Herr Stein fährt Motorrad«, sagte ich.
Wir mussten die Abdeckklappe aus dem Kofferraum nehmen, um das Gepäck zu verstauen. Ernie hatte genug Platz auf dem Rücksitz, verschwand aber fast unter Doras Handgepäck.
»Du hättest einen größeren Wagen nehmen sollen.« Sie machte es sich auf dem Beifahrersitz bequem.
Im Rückspiegel sah ich, dass Ray uns folgte. Ich fürchtete, dass Dora auch an dem von mir reservierten Hotel rummäkeln würde, doch es stellte sich als Volltreffer heraus. Eine Natursteinvilla außerhalb von Nizza, in den Hügeln gelegen, mit zauberhaftem Blick über die Bucht. Einziges Problem: Ich hatte zwei Zimmer bestellt, und es waren auch nur zwei Zimmer frei.
»Tut mir leid, wir sind ausgebucht«, sagte die junge Frau an der Rezeption und schaute zwischen Ray und mir hin und her. »Das Bett ist sehr bequem, Madame.«
»Wir sind nicht … zusammen hier«, beeilte ich mich zu sagen.
»Ich finde etwas anderes«, beruhigte mich Ray. »Es ist ja nur für eine Nacht.«
Der Satz ernüchterte mich. Ich hatte mich an den spröden Kerl mit seinem Detektivbenehmen gewöhnt. Die Vorstellung, Doras Tiraden allein über mich ergehen zu lassen, war beängstigend.
»Seit wann wurde die Bucht so verschandelt!« Sie hatte das Zimmerproblem nicht mitgekriegt und war an die Glasfront getreten. »Als ich letztes Mal hier war, sah das aus wie im Märchen! Diese Hoteltürme, diese Wohnbunker, das ist so traurig! Alles nur wegen des schnöden Mammons!«
»Essen Sie heute Abend mit uns?«, fragte ich Ray leise.
Mit Blick auf Dora sagte er: »Mal sehen. Ich will noch ein Geschenk für Sabine kaufen.« Ich konnte es ihm nicht verübeln. »Morgen möchte ich früh aufbrechen und muss noch den Flug buchen.«
Ich war ehrlich enttäuscht. Wenigstens heute Abend hatte ich ihn noch einmal zu sehen gehofft.
»Wo isst man hier gut?«, fragte Dora die
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