Das Echo der Schuld
Hände.
»Virginia, ich spreche mit Susan«, sagte er. »Ich werde ihr von dir erzählen. Ich werde … alles in Ordnung bringen.«
Immer noch betäubt sah sie zu ihm auf.
»Was heißt das – in Ordnung bringen?«
»Ich werde sie um die Scheidung bitten«, sagte Andrew.
Später dachte Virginia oft, dass sie sich genauso verhalten hatte wie manche Frauen, von denen sie gehört und gelesen und die sie verachtet hatte. Frauen, die sich hinhalten, vertrösten und mit äußerst durchsichtigen Argumenten immer wieder beschwichtigen ließen.
Tatsächlich nämlich geschah zunächst nichts. Virginia feierte Weihnachten mit Michael, Andrew mit Susan, und es fanden keinerlei Aussprachen statt. Virginia mochte Michael nicht gestehen, dass sie sich mit einem verheirateten Mann eingelassen hatte und nun darauf warten musste, dass er sich aus seiner Ehe löste, und so sagte sie vorläufig überhaupt nichts. Was bedeutete, dass alles weiterlief wie bisher: Susan Stewart reiste Anfang Januar nach London zurück, und Virginia und Andrew nahmen ihre geheimen Treffen wieder auf. Anstatt sich zu klären, nahm die Geschichte immer konspirativere Züge an. Andrew mochte Virginia nicht mehr, wie noch zu Beginn ihrer Beziehung, in seiner Wohnung empfangen, nachdem alle übrigen Hausbewohner nun wussten, dass es eine Mrs. Stewart gab, und Virginias Ein-Zimmer-Apartment kam wegen Michael nicht in Frage. Also verlegten sie ihre Begegnungen in einsame Landgasthöfe oder kleine Hotels in anderen Städten. Sie fühlten sich unvermindert heftig zueinander hingezogen, verbrachten Stunden voller Leidenschaft und Zärtlichkeit – und schienen sich doch zunehmend in einer gewissen Stagnation zu verfangen. Virginia litt an den Wochenenden, an denen Susan nach Cambridge kam, aber sie sagte sich, dass Andrew auch ihre Nähe zu Michael aushalten musste. Natürlich fragte sie ihn oft, ob er bereits mit Susan gesprochen habe. Andrew begegnete ihren Fragen ausweichend.
»An Weihnachten und Silvester ging es einfach nicht«, sagte er nach den Winterferien, »ich brachte es nicht fertig. Der Dezember ist einfach ein furchtbar sentimentaler Monat.«
Später wies er dann häufig auf Susans Stress hin. »Sie war wieder fix und fertig von der Arbeitswoche. Sie hat schreckliche Klassen. Sie muss Beruhigungsmittel nehmen, um morgens überhaupt zur Arbeit gehen zu können. Ich glaube, sie bricht zusammen, wenn ich ihr jetzt mit Scheidung komme.«
Virginia hatte gehofft, er werde ihr zu ihrem Geburtstag Anfang Februar die Aussprache mit Susan gewissermaßen zum Geschenk machen, aber auch diese Vorstellung zerschlug sich. Stattdessen versprach er, er werde mit ihr im Frühling nach Rom fahren. Virginia freute sich, aber sie dachte, dass es nicht das war, was sie beide weiterbringen würde.
Sie war in der »Ewigen Stadt« noch nie gewesen und verliebte sich auf den allerersten Blick. Das pulsierende Leben, die strahlende Sonne, die Wärme, das Wandern über einen Boden, der von Geschichte getränkt war, faszinierten sie nicht nur, sondern gaben ihr ein andauerndes Leichtigkeitsgefühl, so als habe sie Sekt getrunken. Als sie über die Engelsbrücke auf die Engelsburg zugingen, musste sie einen Moment stehen bleiben und tief atmen, sich fast vergewissern, dass sie nicht träumte. Es kam jedoch gerade auf dieser Brücke im Angesicht der gewaltigen Burg zu einem seltsamen Erlebnis: Sie hatte plötzlich Angst. Von einer Sekunde zur anderen überfiel sie ein panikähnliches Gefühl, sie atmete ein zweites und ein drittes Mal tief durch, nun jedoch, weil ihre Brust auf einmal eng zu werden schien.
»Was ist los?«, fragte Andrew, der neben ihr stand und eifrig fotografierte. Er ließ die Kamera sinken und starrte sie an. »Du bist ja ganz blass!«
»Ich weiß auch nicht …«
»Die Sonne«, meinte er. »Komm, wir gehen zurück und setzen uns irgendwo in den Schatten. Es ist wirklich heiß heute, und …«
»Nein. Es ist nicht die Sonne.« Der Druck wich, sie spürte, dass wieder etwas Farbe in ihre Wangen zurückkehrte. »Ich hatte auf einmal … so ein Gefühl … als ob …«
»Ja?«, fragte er, als sie nicht weitersprach.
»Es ist so albern.« Sie strich sich mit der Hand über die Stirn. Sie war schweißnass. »Ich glaubte plötzlich zu wissen, dass das alles bald vorbei ist. Dass ich zum letzten Mal glücklich bin.«
»Was soll bald vorbei sein?«
»Die Leichtigkeit. Ich habe mich lange nicht mehr so leicht gefühlt wie hier in dieser Stadt. In
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