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Das Echolot Abgesang '45. Ein kollektives Tagebuch (4. Teil des Echolot-Projekts) - Kempowski, W: Echolot/Abgesang '45

Titel: Das Echolot Abgesang '45. Ein kollektives Tagebuch (4. Teil des Echolot-Projekts) - Kempowski, W: Echolot/Abgesang '45 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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Polenmädchen und betrinken sich. Sie haben alle ihre Waffen noch und führen höchst eindeutige Reden, wie «hoffentlich hat der da (RM) sein Testament gemacht» und ähnliches. Der amerikanische General lässt uns auf unsere Bitte einige Waffen, und ich teile eine ständige Wache vor dem Schlafzimmer RM ein. Erstes Auftreten von Pressephotographen.
    Der Generalfeldmarschall
    Wilhelm Keitel 1882–1946
(Dobbin – Neustadt/Holstein)
    Wie wenig Einsicht Himmler in die politische Lage und seine persönliche Belastung hatte, geht aus folgendem Vorgang hervor. Er schickte aus seinem uns unbekannten Quartier [durch] einen Offizier des Heeres, der bis dahin noch zu seinem Stabe gehört hatte und den er gleichzeitig entließ, einen Brief an General Eisenhower, mit der Bitte um Weiterleitung. Der Offizier war ermächtigt, mir den Inhalt des Briefes zu übermitteln. Er enthielt in kurzen Worten das Angebot, sich freiwillig dem General Eisenhower zu stellen, wenn ihm zugesagt werde, daß er keinesfalls an die Russen ausgeliefert werde. Himmler hatte mir diese Absicht schon bei meiner letzten Unterredung [mit ihm] in Gegenwart Jodls angedeutet. Da der Offizier als Überbringer des Briefes nicht mehr zu Himmler zurückkehrte, hat dieser nie erfahren, daß der Brief nicht weitergesandt, sondern vernichtet worden ist und niemals General Eisenhower erreicht hat. Himmler hatte mir übrigens durch den Kurieroffizierzur Meldung an Dönitz sagen lassen, er werde aus dem Nordraum nunmehr verschwinden und untertauchen; für das nächste halbe Jahr werde er nicht gefunden werden. Seine, einige Wochen später erfolgte, Verhaftung und sein Selbstmord durch Gift in der Haft sind bekannt.
    Paul Schmidt
Salzburg
    Am 8. Mai, 3 Uhr nachmittags, hörten wir Churchill: «Gestern morgen um 2.41 Uhr hat General Jodl als Vertreter des deutschen Oberkommandos und des Großadmirals Dönitz im Hauptquartier General Eisenhowers die bedingungslose Kapitulation aller deutschen Land-, See- und Luftstreitkräfte in Europa gegenüber der alliierten Expeditionsarmee und gleichzeitig auch gegenüber dem sowjetrussischen Oberkommando unterzeichnet.» Als ich in späteren Jahren den Text der Kapitulationsurkunde zu Gesicht bekam, stellte ich übrigens fest, daß General Jodl lediglich «by authority of the German High Command» kapituliert hatte und nicht als Vertreter des Staatsoberhauptes Großadmiral Dönitz. Völkerrechtlich ist dies, besonders wenn man Vergleiche zu der Beendigung des ersten Weltkrieges und der japanischen Kapitulation anstellt, ein interessanter Punkt, der für den Verlauf der weiteren Entwicklung nicht unwesentlich ist.
    Diese Feinheiten gingen uns im Mai 1945 natürlich völlig verloren. Uns fiel nur auf, mit wie wenig Pathos der englische Premierminister dieses welterschütternde Ereignis mitteilte. «Die Feindseligkeiten werden offiziell eine Minute nach Mitternacht des heutigen Tages, Dienstag, den 8. Mai, eingestellt.» Keine großen Worte. Nur die nüchterne Feststellung: «Der Krieg gegen Deutschland ist damit zu Ende.»
    Abends hörten wir dann noch Reportagen aus London von den dortigen Siegesfeiern. In der Londoner Wilhelmstraße, in White Hall, rief die Menge nicht «Wir wollen unseren Churchill sehen», sondern «we want Winny», und «Winny» erschien nicht in einer Uniform mit steifem Gesicht und noch steiferem ausgestrecktem Arm, sondern in seinem bekannten Luftschutzanzug mit einem steifen Hut und dirigierte im Scheinwerferlicht den Chorgesang der Menge auf der Straße. Wohl kaum gibt es in einer so kurzen, leicht faßlichen Szene zusammengepreßt eine treffendere Charakteristik des Unterschiedes zwischen «dem Deutschland seit 1933 und dem England seit 1066», notierten wir dazu in unserem Tagebuch.
    «Jeder Waffenstillstand ist der erste Schritt zum Frieden und Wiederaufbau», hatte ich 1940 im Walde von Compiègne nach Unterzeichnungdes Waffenstillstandes mit Frankreich im historischen Salonwagen zu General Huntzinger, dem Führer der französischen Delegation, in dem Bestreben gesagt, ihm über die unendliche Traurigkeit, die sich auf seinem Gesicht und in seiner Haltung ausdrückte, etwas hinwegzuhelfen. Daran mußte ich in diesem Augenblick denken, um so mehr, als ich ja selbst aus allernächster Nähe auf der diplomatischen Szene der zwanziger und dreißiger Jahre in den zahllosen Besprechungen und Konferenzen miterlebt hatte, wie sich Deutschland nach der schweren Niederlage von 1918 wieder erhoben und seinen Platz

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