Das Ei und ich
ich von laufenden Wasserhähnen und einem Klosett mit Wasserspülung. Selbst am Tage narrten mich solche Wahnvorstellungen, und ich ähnelte einem Wanderer in der Wüste, dem eine Fata Morgana grünende Oasen vorgaukelt. Schon längst hatte sich Bob vorgenommen, die Quelle auszumauern und eine Wasserleitung zum Haus zu legen. Doch sein Plan zauberte kein Wasser aus den Hähnen, die mich im Traum verfolgten. Als er aber eines Tages ganz nebenbei bemerkte: »Heute werde ich anfangen, Rohre zu legen«, schlug mein Herz freudig. Nun speiste er mich nicht mehr mit leeren Versprechungen ab; ich konnte beobachten, wie die Wasserleitungen ständig wuchsen, und jeder Meter Rohr brachte das Wasser näher an meine Küche heran.
Endlich traf auch der Wassertank ein und lag wie ein riesiger Stahlklumpen im Garten. Bob verbrachte einen Tag im Wald, auf der Suche nach vier geraden, starken Pfählen von mindestens vierzig Zentimeter Durchmesser, die den Tank stützen sollten. Ich studierte die Badezimmereinrichtungen in den Katalogen und zuckte nicht mit der Wimper, als Bob erklärte, das Badezimmer käme dorthin, wo meine Rhododendren ohne Hauptwurzel prachtvoll gediehen. Ein verklärtes Lächeln um die Lippen, riß ich sie aus und pflanzte sie ohne viel Sorgfalt beim Holzschuppen wieder ein. Was kümmerten mich die Rhododendren? Mich kümmerte nur das Wasser.
Der Herbst in den Bergen war wundervoll. Um sechs Uhr ging die Sonne auf, doch sie war sanft und noch schlafbefangen bis ungefähr neun Uhr. Die Zitronenbäume blühten, und die Erde strahlte Wärme aus, aber trotzdem kam man nicht in Versuchung, sich noch im Sommer zu wähnen, denn oben auf den Bergen schwebten verhüllende Schleier um die Baumwipfel, und über der Schlucht schwelte der Nebel bis Mittag.
Die Begriffe Herbst und Schule gehörten in meiner Vorstellungswelt unweigerlich zusammen, und hörte ich die ersten Nebelhörner tuten oder sah ich das erste braune Blatt, so meinte ich fast, den Druck der jeden Herbst fälligen neuen Schuhe für den Schulbesuch an den Füßen zu spüren. Ob wir wohl noch auf der Farm leben würden, wenn Anne in die Schule kam? Ich mußte daran denken, als ich eines Morgens den Autobus sah, der die Talstraße entlangfuhr und die kleinen Mädchen und Buben aufnahm, die mit ihren Imbißtaschen unter dem Arm am Tor der elterlichen Farm darauf warteten, zur Schule gefahren zu werden. Von acht Uhr früh bis halb fünf Uhr nachmittags blieben die Kinder weg, ein langer Arbeitstag für sechsjährige Erstkläßler. Aus meinen Gedanken schreckte mich Bob mit der Mitteilung auf, daß der Wassertank installiert und gebrauchsfertig sei – bis aufs Wasser. Für unvoreingenommene Augen stellte er eine plumpe Stahlkonstruktion auf Stelzen mit einem nicht minder plumpen Wasserturm aus Holz dar. Doch in meinen Augen war er gar lieblich anzusehen, und nicht einmal das Taj Mahal hätte ihn an Pracht oder Schönheit übertreffen können.
»Am liebsten würde ich die amerikanische Fahne hissen!« schrie Bob mir zu. Ich war so aufgeregt, daß ich im Überschwang der Gefühle beschloß, zu Mrs. Kettle zu wandern und ihr von dem beglückenden Ereignis Mitteilung zu machen.
Ich packte Anne, einen Korb mit Eiern und einen halben Schokoladenkuchen in den Kinderwagen und machte mich, umsprungen von Sport und dem Welpen, auf den Weg. Es war ein wunderschöner Tag, der Spaziergang tat uns allen gut, und mit rosigen Wangen und heiterem Gemüt betraten wir das Kettlesche Grundstück. Ich balancierte den Kinderwagen mit viel Übung über die verstreuten Werkzeuge, Autoteile und verbeulten Schutzbleche, als mich ein fürchterliches Geschrei Paws, das aus der Gegend der Ställe kam, aufhorchen ließ. Ich blickte mich um und sah ihn gerade noch zum Kuhstall hinaus in die Scheune flüchten, dann wankte der mehrere Meter hohe Wasserturm auf seinen dünnen Holzpföstchen und krachte mit viel Getöse auf das Dach des Melkraums nieder.
Eine Wassersäule spritzte hoch und erschreckte eine Muttersau mit ihren Ferkeln dermaßen, daß sie blind vor Angst Reißaus nahmen, den Zaun an der Stelle, wo er aus Bettfedern bestand, durchschlugen und im Weizenfeld verschwanden.
Nach einem Weilchen wagte sich Paw aus dem sicheren Hort der Scheune hervor und betrachtete fassungslos die Bescherung. Elwin steckte den Kopf unter einem seiner Autowracks hervor und grölte: »He, Paw, ist dir was runtergefallen? He-he-he-he!« Der Lärm lockte Maw aus der Küche ins Freie, und als Paw sie
Weitere Kostenlose Bücher