Das Einhornmädchen Vom Anderen Stern
würden die beliebtesten dieser Substanzen unschädlich machen. Nicht daß Acorna Gift nicht neutralisieren könnte, aber sie wünschten, solche Probleme von vornherein zu vermeiden.
Und so kam der große Tag schließlich und kamen die Frisöre mit ihren Vorbereitungen und oohten und aahten beim Anblick von Acornas herrlicher Mähne. Ihr Abendkleid war so freizügig geschnitten, daß es ihre prächtige Körperbehaarung wundervoll zur Geltung brachte, und um dieses silberfarbene Gepränge zu krönen, hatte man eine Tiara gefertigt. (Eine der vielen neidischen Frauen hörte man später schwören, daß Herrn Lis Schützling in ihr Kostüm hineingeklebt worden sein mußte, denn wie anders hätte es so fest an ihr verankert bleiben können, wenn sie auf der Tanzfläche herumwirbelte.) Die dunklen Haare von Judit und Mercy wurden ebenfalls beide zu faszinierenden, wenn auch nicht extravaganten Frisuren gestaltet, da ihnen dezente Eleganz besser stand und sie einen Kontrast zu Acornas außergewöhnlicher Erscheinung bilden sollten.
Khetala, Chiura und Jana hockten fast wie festgeklebt auf ihren Vorzugsplätzen im Ankleideraum der Damen und schauten dem Treiben zu, sprachlos ob der Schönheit, die sie sahen, und der subtilen Möglichkeiten, wie man natürlichen Liebreiz verstärken konnte. Sie hatten zudem die Erlaubnis erhalten, auch die Ankunft der Gäste beobachten zu dürfen, und sollten später auf ihrem Zimmer die gleichen Speisen erhalten, die man zum Abendessen servieren würde.
»Damit ihr, auch wenn ihr oben bleiben müßt, ganz genauso schmausen könnt wie wir«, erklärte Judit ihnen. »Mitten im Trubel jedoch werden so viele Leute sein, daß kleine Personen wie ihr verlorengehen würden, und das könnte euch angst machen.«
Khetala hatte ihr zugestimmt. Sie zog es immer noch vor, möglichst viel freien Raum um sich zu haben, und fühlte sich unter Fremden nur dann wohl, wenn ihre »Onkel« in der Nähe waren.
Chiura hingegen hatte all die schrecklichen Erinnerungen hinter sich gelassen, die Jana des Nachts immer noch schweißüberströmt und zitternd aus dem Schlaf aufschrecken ließen. Jana kletterte dann immer aus ihrem kleinen Bett und kroch trostsuchend bei Kheti unter. Aber sie war wirklich aufgeregt über die Feier und wußte ganz genau, wo sie sich ungesehen hinhocken und jeden eintreffen sehen konnte, nämlich auf dem ersten Absatz der großen Haupttreppe.
Schließlich brach die neunte Stunde an, eine Stunde, die von den wertvollen Uhren in ihren Nischen, Ecken und auf den Abstellflächen mit melodischem, unverschämtem oder zurückhaltendem Geläut gefeiert wurde. Präzise beim dritten Glockenschlag der Stunde wurde die Vordertür geöffnet, um den ersten Gast zu empfangen, einen sehr rangniedrigen Beamten und seine Frau, die für den Anlaß prunkvoll gekleidet waren. Jana hielt nicht viel von ihrem Kleid: Die Farbe war zu grell, und das flackernde Lichterschauspiel, das ihren Ausschnitt schmückte, ließ sie wie eine verwaschene Skizze aussehen. Mit dem achten Glockenschlag wurden ein weiterer rangniederer Offizieller, seine Frau, sein ältester Sohn und seine älteste Tochter eingelassen. Jana gefiel, was die Tochter trug – die allerschönste Schattierung eines blassen Blaus –, obwohl es dem Mädchen nicht wirklich stand. Auch seine mit funkelnden Juwelen besetzten Schuhe, mit ihren sehr hohen Absätzen und Riemen, die bei den Zehen anfingen und bis zum Knie hochreichten, waren hübsch.
Das Rinnsal der Gäste wurde zu einem Bach und dann zu einem Fluß, der keine Zeit mehr ließ, die Tür zwischen ihrem Kommen wieder zu schließen. Kheti und Chiura wurde es irgendwann zu langweilig, sich anzuschauen, was die Leute trugen. Nur Jana weidete ihre Augen an den Farben, den Mustern, den Kombinationen, dem Prunk und dem Putz, den Federn und den Pelzen. Sie konnte nicht recht glauben, daß es so viele Variationen von Kleid und Anzug geben könnte. Sie, die einen Großteil ihres Lebens in Dunkelheit verbracht hatte, in einer schwarzen bis grauen Umgebung, sog all diese Farben gierig in sich auf, so wie ein Wüstenbewohner sich in einer Oase erquicken mochte.
Dann stand er im Eingang. Jana erstarrte vor Furcht. Kheti und Chiura hatten ihre Plätze verlassen, als die Untermagd sie hochgerufen hatte, um ihren Anteil vom Bankett zu essen.
Nicht daß Jana auch nur ein Wort hätte ausstoßen können, wenn sie noch neben ihr gewesen wären. Sie vermochte ihn nur anzustarren, wie er in dem grellen Licht
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