Das Einhornmädchen Vom Anderen Stern
bevor er entgeistert zu lamentieren begann und der nächst greifbaren Magd befahl, den Meister herbeizurufen. Ärger stand auf der Türschwelle. Dann riß er die Tür auf und machte einen tiefen Kotau vor Acorna, bis seine Nase beinahe seine Knie berührte.
»Junge Herrin, junge Herrin, warum sind Sie hier? Sie sind doch gar nicht aus Ihrem Bett aufgestanden«, stammelte er, sich in seiner Bestürzung immer wieder verbeugend.
»Würden Sie bitte Herrn Li unterrichten, daß ich hier bin und nicht in meinem Bett und ihn brauche. Wenn er noch in seinem Bett ruht, tut es mir wirklich sehr leid, ihn zu stören…«
Pal und Judit stürzten den wuchtigen Treppenaufgang herunter, als ob er sich in eine Rutschbahn verwandelt hätte.
»Acorna!« rief Judit und äußerte sich sogar noch lauter und bestürzter, als sie das ausgemergelte Mädchen erblickte, das Acorna beschützte.
»Herr Li ist in eben diesem Moment bereits unterwegs, werte Hüter«, meldete Pal und bedeutete ihnen einzutreten. »Wenn Sie so freundlich wären, ins Haus hereinzukommen…« fuhr er fort, wonach er mit einem sehr geschickten Schubs seines Hinterteils gegen die Vordertür diese dem Marktbudenbesitzer direkt vor der Nase zuwarf.
Taub gegenüber dem Gebrüll und den Verwünschungen, die man, wenngleich nur gedämpft, durch die dicke Türfüllung von draußen hereindringen hörte, geleitete Pal die Hüter des Friedens, die verwirrte und erfreute Blicke miteinander austauschten, zuvorkommend weiter, während Acorna versuchte, die um ihren Hals geschlungenen Arme des Kindes zu lösen, so daß Judit es in ihre Obhut nehmen konnte. Das Kind stöhnte und weinte in der maßlos verzweifelten Art seines Alters, die um so wirkungsvoller war, als solche Laute hilfloser Verlorenheit zeigten, daß es lange genug jeglichen Trost hatte entbehren müssen, um jede Hoffnung aufgegeben zu haben, daß es noch mal welchen erfahren könnte.
»Sie kennen dieses… diese… Person«, begann der erste Friedenshüter, deswegen stockend, weil inzwischen der Schal von Acornas Kopf entfernt worden und das ausgeprägte Horn sichtbar war.
»Natürlich kennen wir sie«, erwiderte Pal so nachdrücklich, daß beide Hüter abwehrend die Hände erhoben, wie um ihre Nachfrage zu entschuldigen. »Sie ist die Dame Acorna, hochgeschätzte Schutzbefohlene von Herrn Delszaki Li, der dem Büro der Friedenshüter gewiß bekannt ist…«
»In der Tat, das ist er, und er ist äußerst großzügig zu unseren Ruhestands- und Urlaubsfonds«, meinte der zweite Mann und verbeugte sich mehrmals, nicht unähnlich dem Türsteher, wenn auch nicht so tief, einmal, weil er seinen Wanst nicht hätte falten können, als auch, weil von Friedenshütern eigentlich erwartet wurde, daß sie niemandem außer ihren Vorgesetzten Respekt bezeugten.
»Bist du in Ordnung, Acorna?« fragte Pal, nahm sie am Arm und führte sie zum nächstgelegenen Stuhl. Sie wirkte auf ihn in der Tat sehr wacklig. »Wo warst du? Warum haben sie dich zurückgebracht?« flüsterte er.
»Ich wollte auf dem Gras rennen«, antwortete sie mit kaum hörbarer Stimme.
In genau diesem Augenblick betraten Rafik, Calum und Gill den Raum, die sich augenscheinlich die erstbesten Kleider übergeworfen hatten, die zur Hand gewesen waren.
»Also, werte Hüter, was genau ist das Problem?«
»Nun, dieses… diese… Frau hier… behauptete, sie sei Herrn Lis Schützling, und sie ist ein wenig in die Klemme geraten, also dachten wir, wir sollten das besser nachprüfen.«
»Sie meinen, Sie haben dem Wort einer jungen Dame von vornehmer Geburt, die offenkundig gut gekleidet und eindeutig nicht die Art Person ist, die in eine Klemme gerät, keinen Glauben geschenkt?« wollte Rafik entrüstet wissen. Aber der Blick, den er Acorna zuwarf, verriet ihr, daß er nachher ein paar mindestens ernste Worte mit ihr zu wechseln gedachte.
Sie interessierte sich plötzlich intensiv dafür, sich den Schmutz von ihren Händen und dann ihren Armen abzuwischen. Wegen der Flecken auf ihrem schönen Rock konnte sie im Augenblick wenig machen, aber sie rückte ihre Kopfbedeckung zurecht. Nicht, daß es jetzt noch eine Rolle spielte.
Delszaki Li tauchte in seinem Schwebestuhl auf, und so wurde es im Empfangsraum recht eng.
»Also, Acorna, mein Liebling, warum du bist ausgegangen ohne jemanden, der dich hätte begleitet überallhin, wo du auch hingewollt hättest?« Er wandte sich zu den Friedenshütern um.
»Kordonmeister Flik und Konstabler Grez, was das Problem
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